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Interview

Doschd-Chefredakteur im Interview "Russland wird diktatorisch werden"

Stand: 04.03.2022 17:12 Uhr

Als einer der letzten Kreml-kritischen Sender hat Doschd TV seinen Betrieb eingestellt. Im Interview mit den tagesthemen spricht Chefredakteur Tichon Dsjadko über neue Gesetze gegen Journalisten - und wohin sich Russland entwickeln wird.

tagesthemen: Doschd TV war dem Staatsapparat schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Sie sind Druck von den Behörden also gewohnt, haben sich aber tapfer widersetzt. Nun haben sie den Betrieb ganz eingestellt. Warum jetzt doch?

Tichon Dsjadko: Die Situation ist total anders als das, was wir in den letzten 20, 30 Jahren in Russland erlebt haben. Russland hat in der Ukraine einen Krieg angefangen. Russland bekämpft die Zivilgesellschaft und Journalisten.

"Russland bekämpft die Zivilgesellschaft": Tichon Dsjadko, Chefredakteur des russischen Fernsehsenders Doschd TV

tagesthemen, tagesthemen, 03.03.2022 22:30 Uhr

Wir haben schon lange Druck bekommen, aber die Situation hat sich komplett geändert und deswegen haben wir uns entschlossen, den Sendebetrieb einzustellen. Morgen* wird die Staatsduma zusammenkommen und ein neues Gesetz diskutieren, das es dem Staatsapparat erlaubt, Journalisten bis zu 15 Jahre hinter Gitter zu bringen, wenn sie vermeintliche Fakenews über die russische Armee verbreiten. Die kommen ins Gefängnis.

Doschd und die Journalisten von Doschd stehen natürlich ganz oben auf der Liste. Wir mussten uns deswegen entscheiden - und hatten die Wahl: Hören wir mit der Arbeit auf? Oder hören wir auf, die Wahrheit über den Krieg zu verbreiten? Wir haben uns für die erste Option entschieden.

[* Das Interview wurde bereits am Donnerstagabend geführt. Die Sitzung der Staatsduma hat mittlerweile stattgefunden, das Parlament stimmte für die Gesetzesänderung. Unter Strafe stehen laut Gesetzestext konkret das Verbreiten vermeintlicher Falschinformationen über russische Soldaten, das Diskreditieren russischer Streitkräfte und auch Aufrufe zu Sanktionen gegen Russland. Es drohen demnach hohe Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Haft.]

Zurück in die "dunkle Sowjetzeit"

tagesthemen: Welche Entwicklung sehen Sie für ihr Land, wenn man das Vorgehen gegen die Medien und Proteste bedenkt? Auf was steuern wir zu?

Dsjadko: Ich glaube, dass Putin seine Mittel und Wege finden wird, um uns in die dunklen Jahre der Sowjetzeit zurückzuschicken. Die Entwicklung ist ganz einfach: Die Unterdrückung wird immer schlimmer. Es wird kein politisches Leben mehr geben, es wird keine unabhängigen Diskussionen mehr geben. Russland wird weniger autoritär sein, sondern vielmehr diktatorisch.

Flucht ins Ausland

tagesthemen: Können Sie uns etwas zu Ihrer persönlichen Situation sagen? Wie geht es jetzt weiter für Sie? Wir hören im Hintergrund Kinderstimmen.

Dsjadko: Ja, das sind die Kinder im Hintergrund. Meine Frau, die auch Journalistin ist und für Doschd arbeitet, und ich haben uns gestern dazu entschlossen, das Land zu verlassen, weil es dort für uns einfach nicht mehr sicher ist. Wir sind also nicht mehr in Russland und analysieren jetzt unsere Optionen. Wir hoffen, dass wir bald wissen, was mit uns passieren wird und wie es weiter geht.

tagesthemen: Was wird mit Doschd TV passieren?

Dsjadko: Wenn Sie fragen, was ich glaube: Ich glaube an die Wahrheit, ich glaube an Liebe, ich glaube an Freiheit. Doschd heißt ja eigentlich im vollen Namen "Doschd - optimistischer TV-Sender". Deshalb denke ich, dass es am Ende gut ausgehen wird. Ich weiß nicht wann, da bin ich mir nicht sicher. Aber ich weiß, dass es letztendlich, irgendwann, gut sein wird.

Das Interview führte Ingo Zamperoni für die tagesthemen. Für die Veröffentlichung auf tagesschau.de wurde es redaktionell bearbeitet und redigiert.