Die zerstörte Hotelanlage von Sergiy Laskin.
Reportage

Kiewer Vorort Butscha Wieder aufbauen - oder warten?

Stand: 05.07.2022 13:21 Uhr

Butscha muss nicht nur mit den Nachwirkungen des Massakers zurechtkommen, die Bewohner des einst gediegenen Kiewer Vororts stehen auch vor der Frage: Jetzt schon mit dem Wiederaufbau beginnen - oder kommt Hilfe vom Staat?

Im Internet ist das Hotel "Villa San Marino" immer noch zu finden. Mit Hochglanz-Bildern von Speisesaal, Pool und Billardtisch. "Vorübergehend geschlossen" heißt es bei Google. Das klingt fast zynisch, denn vom Hotel ist nicht viel übrig. Ausgebrannte Zimmer, Einschusslöcher in der Wand, haufenweise Geröll: Auf dem Gelände sieht es nicht nur aus wie auf einem Schlachtfeld, es war tatsächlich eins.

Hotelbesitzer Sergiy Laskin erzählt, was ihm berichtet wurde, denn er war an jenem Tag selbst nicht hier. Auf dem Hotelgelände hätten sich ukrainische Soldaten verschanzt, um gegen die russischen Angreifer zu kämpfen. Mehrere Stunden lang hätten sie sich schwere Gefechte geliefert. Am Ende seien sieben russische und fünf ukrainische Soldaten tot gewesen. "Immerhin konnten die Ukrainer die Angreifer abwehren", sagt Laskin. Ein schwacher Trost.

Ferienhäuschen und ein Pool: Die Hotelanlage von Sergiy Laskin.

Ferienhäuschen und ein Pool: Die Hotelanlage wurde zeitweise zum Quartier ukrainischer Soldaten.

Versicherung will nicht zahlen

"Wir haben die Versicherung angeschrieben. Sie hat uns geantwortet, dass das hier über 'höhere Gewalt' noch hinausgeht. Wir könnten ja Russland ja vor einem internationalen Gerichtshof verklagen…", klagt er. "Vielleicht kommt ja finanzielle Unterstützung von der Regierung, aber die hat jetzt im Krieg andere Sorgen."

Laskin hat einen staatlichen Förderkredit beantragt. Er fängt erstmal mit dem Dach an, später kommen dann die Fenster. Schritt für Schritt, was das Konto hergibt. Natürlich hofft er darauf, irgendwann vom Staat entschädigt zu werden. Die ukrainische Regierung hat versprochen, geschädigten Hausbesitzern unter die Arme zu greifen. Doch bisher gibt es dazu noch kein entsprechendes Gesetz, dafür aber viele offene Fragen.

"Die Leute haben nicht viel Geld"

Vadim Naumow ist in der Kommune Butscha fürs Bauwesen zuständig. Jene Stadt, die wegen eines grausamen Massakers weltbekannt wurde. Naumow bekommt derzeit viele Anrufe: "Viele fragen uns: 'Soll ich meine Ersparnisse nun in die Renovierung investieren?' Dabei ist im Moment noch nicht einmal klar, wie der Wert des Eigentums ermittelt wird, wie das Verfahren genau ablaufen wird", sagt er. "Wir können den Menschen nur raten, möglichst alles zu dokumentieren."

Heißt: Offizielle Baufirmen zu beauftragen, um später eventuell Belege einreichen zu können. Es gehe mit dem Wiederaufbau schleppend voran, sagt er. Immerhin sorgten Hilfsorganisationen dafür, dass besonders Bedürftige schnell Hilfe bekommen.

Gleich nach dem Abzug der Russen aus der Region hat er die Schäden untersucht und Buch geführt. So verzeichnet er allein über 4000 Glasschäden.

Der Fensterinstallateur Juri müsste volle Auftragsbücher haben. Aber dem ist nicht so, sagt er: "Die Leute haben nicht viel Geld. Schau Dich mal um, wie viele zerbrochene Fensterscheiben es hier gibt", sagt er und trägt eine gesprungene Scheibe von einem Apartmentkomplex zu seinem Wagen. "Hier leben noch einigermaßen gut situierte Leute, aber in den abgelegenen Orten, wo die Rentner wohnen… Woher sollen die das Geld haben?"

"Ruhm sei der Ukraine!", steht an die Wand einer der Hotelgebäude auf dem Komplex gesprüht.

"Ruhm sei der Ukraine!", steht an die Wand einer der Hotelgebäude auf dem Komplex gesprüht.

Nachbarschaftshilfe ungebrochen

Noch immer sind hier viele Menschen nicht in ihre zerstörten Häuser zurückgekehrt. Es fehlt nicht nur an Fenstern, sondern oft auch an funktionierenden Gasleitungen. So finden sie weiterhin bei Familie oder Freunden Unterschlupf.

Oleg ist wieder zu Hause. Der ältere Herr aus dem Nachbarort Horenka steht auf dem Bürgersteig und ist ziemlich verschwitzt. Er hilft seinem Nachbarn, das Haus wieder auf Vordermann zu bringen.

Oleg hat hier fürchterliche Momente erlebt, erzählt er. Dinge, die er mit Worten nicht beschreiben könne. Aber: "Vor dem Krieg kannte ich die Nachbarn kaum, jetzt sind wir zu einer Familie geworden", sagt er.

Auch wenn der Krieg hier Häuser zerstört hat: Viele Menschen hat er zusammengeschweißt.

Marc Dugge, HR zzt. Kiew, 05.07.2022 12:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 05. Juli 2022 um 08:25 Uhr.