
Baerbock im Baltikum Selbstkritik und ein Versprechen
Außenministerin Baerbock ist drei Tage lang im Baltikum unterwegs. Am ersten Tag ihrer Reise gestand sie deutsche Fehler der Vergangenheit ein und versprach mehr Unterstützung, um den russischen Krieg in der Ukraine zu stoppen.
"Annalena Berboka" steht auf dem Namenschild im Außenministerium in Riga. Die Bundesaußenministerin sitzt dahinter in einem blauen Samtsessel. Sie ist so tief darin versunken, dass sie ihre Schultern etwas hängen lässt. Gerade hat sie mehr als eine Stunde mit ihrem lettischen Kollegen Edgars Rinkevics über die Ukraine gesprochen.
Baerbock wirkt konzentriert. Die Antworten auf die Fragen der Journalistinnen und Journalisten liest sie fast vollständig von ihrem vorbereiteten Manuskript ab. Kurz nach der neuen russischen Offensive in der Ukraine scheint die Anspannung groß zu sein.
Drei Tage Baltikum - das heißt für Bundesaußenministerin Annalena Baerbock: drei Tage erklären, was Deutschland alles unternimmt, um den Krieg in der Ukraine zu stoppen. Und vor allem zu erklären, warum es nicht mehr ist.
Angst vor russischen Aggressionen
Die ehemaligen Sowjetrepubliken Lettland, Estland und Litauen sind Mitglieder von EU und NATO, mit direkter Grenze zu Russland oder zur russischen Exklave Kaliningrad. Die Angst vor russischen Aggressionen ist groß - nicht erst seit dem aktuellen Angriff auf die Ukraine. Baerbock gesteht: Diese Sorgen und Warnungen habe Deutschland lange überhört. Das wolle sie ändern.
Am Nachmittag steht Baerbock mit ihrer estnischen Kollegin Eva-Maria Liimets und den beiden Außenministern aus Lettland und Litauen in der "Kleinen Gilde" in der Rigaer Altstadt. Glasgemälde hinter den Politikerinnen und Politikern erinnern an die deutschen Handwerker, die sich hier einst getroffen haben. Baerbock lädt deutsche Touristen ein, im Baltikum Urlaub zu machen - eine der seltenen Momente, in denen die deutsche Außenministerin lächelt und lockerer wirkt.
Kaum offene Kritik an deutscher Haltung
Unternimmt Deutschland genug, um die NATO-Partner und die Ukraine zu beschützen? Diese Frage bestimmt Baerbocks Reise durch das Baltikum. Eine eindeutige Antwort lässt sich nach dem ersten Tag noch nicht geben. Der lettische Außenminister Rinkevics nennt Deutschland zwar einen "vertrauensvollen Partner". Alle würden ihr Maximum geben, um die Ukraine zu unterstützen. Aber er sei auch überzeugt, dass die Bundesregierung nach weiteren Möglichkeiten suche, diese Unterstützung auszubauen. So drücken Diplomaten höflich aus, dass Deutschland mehr tun muss.
Der lettische Außenminister, seine Kollegin aus Estland und der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis geben sich verständnisvoll. Ihre Erwartungen lassen sich in ihren Formulierungen aber erahnen: Es braucht mehr, um Russland vor weiteren Angriffen abzuschrecken, etwa Luftraumüberwachung, Küstenwachschiffe und mehr Soldaten. Momentan sind mehr als 1000 deutsche Soldaten in Litauen stationiert, Baerbock wird sie am Freitag besuchen.
Die Grünen-Politikerin gibt in Riga ein Versprechen ab, das die Menschen hier gerne hören: "Das Baltikum kann sich zu 100 Prozent auf Deutschland verlassen." Jeder Winkel des NATO-Gebiets werde gemeinsam geschützt - so wie es der NATO-Vertrag ja auch vorsieht.
Mehr deutsche Waffen für die Ukraine?
Die Grünen-Politikerin hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass Deutschland auch schwere Waffen an die Ukraine liefert. Ein Widerspruch zu Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD? Der hatte am Dienstagabend in Berlin noch einmal versucht zu erklären, warum Deutschland zögert, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern. Die Möglichkeiten der Bundeswehr dafür sind nach seinen Worten an ihre Grenzen gestoßen.
Ähnlich argumentiert Baerbock im Baltikum. Sie betont, Deutschland werde Systeme liefern, um sich gegen russischen Artilleriebeschuss zu wehren. Auch gepanzerte Fahrzeuge seien kein Tabu. Nur sei momentan einfach nichts vorhanden, was man schnell liefern könne.
Die Außenministerin unterstreicht immer wieder, Deutschland arbeite eng mit seinen Partnern zusammen. Wenn diese an die Ukraine liefern, könne die Bundesrepublik für Ersatz, Ausbildung und Wartung sorgen. Quasi ein Ringtausch. Zudem unterstütze Deutschland schon in Polen, der Slowakei und Rumänien. Ihre Aufzählung soll wohl Kritiker überzeugen: Ist das etwa nichts?
Außenministerin übt deutsche Selbstkritik
Kritik gibt es auch an der deutschen Energiepolitik. Baerbock bittet im Baltikum um Verständnis: Für ein Industrieland wie Deutschland sei es eine Kraftanstrengung, seine Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen abzubauen. Die Grünen-Politikerin nennt die Energiepolitik der vergangenen Jahre "fatal". Sie tritt selbstkritisch auf, obwohl sie und ihre Partei erst seit nicht einmal fünf Monaten in der Regierung sitzen.
Hier im Baltikum sieht man sich bestätigt. Der Widerstand gegen die deutsch-russische Pipeline Nordstream 2 war schon immer groß. Litauen kauft nach eigenen Angaben seit Anfang des Monats kein Gas mehr in Russland, Lettland und Estland wollen bald nachziehen. Und sie erwarten das auch von Deutschland - auch wenn sie das in dieser Deutlichkeit nicht vor den Mikrofonen und Kameras im festlichen Saal der "Kleinen Gilde" sagen. Baerbock versichert: Die Bundesregierung arbeite daran, die Abhängigkeit von Russland zu lösen und sei dabei auf einem guten Weg.
Lernen von Erfahrungen im Baltikum
Was Deutschland alles unternimmt, wird Baerbock in den nächsten Tagen vermutlich noch häufiger erklären müssen - bei den anstehenden Gesprächen in Estland und Litauen. Und dabei will die Außenministerin nicht nur über Waffen sprechen. Es handele sich um einen hybriden Krieg, von dem das Baltikum direkt betroffen sei. Desinformation sei Teil des Alltags.
Baerbock wird an dieser Stelle deutlich: "Russlands nationalistischer Wahn führt zur gesellschaftlichen Spaltung." Sie will deshalb zuhören und von Nichtregierungsorganisationen mehr über den Kampf gegen Desinformation und Propaganda erfahren. Deutschland könne von der Wehrhaftigkeit des Baltikums viel lernen.