Bewacht von russischen Soldaten betreten ukrainische Soldaten einen Bus in Asowstal.

Austausch oder Gefangenschaft Was wird aus den Kämpfern von Asowstal?

Stand: 17.05.2022 14:20 Uhr

Rund 260 ukrainische Verteidiger des Asow-Stahlwerks in Mariupol befinden sich in russischer Gefangenschaft. Die Ukraine hofft nun auf einen Gefangenenaustausch - aus Russland kommt Ablehnung.

Von Rebecca Barth, ARD-Studio Warschau

Rettung oder Kapitulation? Diese Frage stellen sich jetzt viele Menschen in der Ukraine angesichts der Entwicklungen rund um das Asow-Stahlwerk in Mariupol. Denn am späten Montagabend begann das, was die dort eingeschlossenen Soldaten stets vermeiden wollten: Hunderte verließen das Stahlwerk, aber nicht Richtung Ukraine, sondern auf das Gebiet der von Russland kontrollierten sogenannten Volksrepublik Donezk.

In Bussen wurden verletzte Soldaten abtransportiert. Ein russischer Reporter vor Ort berichtet, ungefähr 50 Verletzte würden in das Kreiskrankenhaus in Nowoasowsk gebracht und medizinisch versorgt.

Russland lehnt Austausch ab

Mehr als 200 weitere Soldaten sind nach übereinstimmenden Meldungen in das Dorf Oleniwka bei Donezk gebracht worden. Dort befindet sich ein Gefangenenlager, das ukrainische Offizielle in der Vergangenheit auch als Konzentrationslager bezeichnet hatten. Nach ukrainischen Angaben sei ein Gefangenenaustausch vereinbart worden.

Der Chef des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, hat sich nach der Gefangennahme der ukrainischen Kämpfer allerdings bereits gegen einen "generellen Gefangenenaustausch" ausgesprochen. Er bezeichnete die ukrainischen Kämpfer als "Nazi-Verbrecher" - diese unterlägen keinem Austausch, sagte der Duma-Chef am Dienstag bei einer Plenarsitzung. "Das sind Kriegsverbrecher, und wir müssen alles dafür tun, sie vor Gericht zu bringen."

Demian von Osten, ARD Moskau, zum Verbleib der ukrainischen Verteidiger des Asow-Stahlwerks

tagesschau 15:00 Uhr

Laut russischen Meldungen habe die "Befragung der Kriegsgefangenen" bereits begonnen. In den vergangenen Wochen hatten die Soldaten immer abgelehnt, sich in russische Hände zu begeben. Sie befürchten, in Gefangenschaft gefoltert oder sogar getötet zu werden.

"Wichtige Zeit gewonnen"

Die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Anna Malyar verkündete, dank der Verteidiger von Mariupol habe man wichtige Zeit gewonnen, um Reserven zu bilden, Kräfte neu zu gruppieren und Hilfe von Partnern zu erhalten. Außerdem sagte Malyar, "die Verteidiger von Mariupol haben alle von den Befehlshabern zugewiesenen Aufgaben vollständig erfüllt. Leider haben wir nicht die Möglichkeit, die Blockade von Asowstal militärisch zu lösen".

Die wichtigste Aufgabe sei es, das Leben der Soldaten zu retten, so Malyar. Besonders Angehörige hatten in den Vergangenen Wochen Druck auf die ukrainische Regierung ausgeübt. Es sei wichtiger, die Männer zu retten, anstatt ihnen posthum Auszeichnungen zu geben, sagte eine Ehefrau bei einer Pressekonferenz. Genau das befahl am Montag auch das Oberste Militärkommando den Kommandeuren der im Stahlwerk eingeschlossenen Einheiten, teilte der ukrainische Generalstab mit.

Vorab hatte sich der Kommandeur des Asow-Regiments, Denis Prokopenko, jedoch kritisch zu Wort gemeldet. Er sagte, "jede Entscheidung, jeder Plan, jede Maßnahme muss hinterfragt werden". Kritisches Denken habe in seinem Kopf immer Zweifel geweckt - "Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Entscheidungen. Das hat mich nie davon abgehalten, immer auf meinem Standpunkt zu beharren".

"Ukrainische Soldaten haben sich ergeben"

In russischen Telegram-Kanälen werden die Ereignisse als Erfolg gewertet. Die ukrainischen Soldaten hätten sich ergeben, heißt es dort. Was nach ukrainischen Angaben eine Evakuierung sei, bezeichnen russische Kommentatoren als die "größte psychologische Niederlage der Ukraine in den letzten Wochen". Von einem "perfekten Finale" war die Rede und von "gedemütigten Gesichtern, die vor Kurzem noch um 'Rettung' gebettelt haben und nun um Gnade flehen".

Lawrow: "Probleme lösen, wie wir sie sehen"

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte dazu, Russland habe all die Jahre auf Verhandlungen bestanden und sei ignoriert worden. Deshalb werde man jetzt "Probleme lösen, je nachdem, wie wir sie sehen".

Lawrow betone, dass Russland immer bereit sei, "humanitäre Probleme zu lösen, wie es gestern geschehen ist, als dank unseres Militärs und seiner Initiativen vor Ort Hunderte von Verwundeten aus Asowstal herausgebracht wurden". Genau das seien die Prinzipien, die dem Handeln der russischen Armee zugrunde lägen.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Rebecca Barth, ARD Moskau, zzt. Warschau, 17.05.2022 13:39 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. Mai 2022 um 14:00 Uhr.