Umstrittene Verfassungsänderung Ungarns Regierung - immun gegen Kritik

Stand: 12.03.2013 14:46 Uhr

Die Verfassungsänderungen der ungarischen Regierung haben international heftige Kritik ausgelöst. Doch der ungarische Präsident Ader zeigte sich bei einem Treffen mit Kanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle von den Sorgen aus Deutschland unbeeindruckt.

Von Tim Gerrit Köhler, ARD-Hörfunkstudio Wien

Ein "offener und in Teilen durchaus kontroverser Meinungsaustausch" - wenn Diplomaten ein Treffen so beschreiben, dann weiß man, dass hinter den Kulissen sehr deutliche Worte gesprochen wurden. Mit genau dieser Formulierung hat das Auswärtige Amt das Gespräch zwischen Außenminister Guido Westerwelle und dem ungarischen Staatspräsidenten János Ader am Vormittag in Berlin beschrieben.

Westerwelle ist beileibe nicht der einzige, der die umstrittenen Verfassungsänderungen kritisiert. Das internationale Echo ist enorm, doch die ungarische Regierung zeigt sich unbeeindruckt. Ob EU, Europarat oder USA - wie üblich prallt jede Kritik an Premier Orbán ab. Seine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament steht. Was das Ausland sagt, scheint egal.

T. Köhler, ARD Wien, 12.03.2013 14:46 Uhr

Vierte Verfassungsänderung

Zum vierten Mal innerhalb eines Jahres hat die rechtskonservative Mehrheit im Parlament nun die Verfassung geändert - diesmal vor allem, um das Verfassungsgericht in seiner Macht zu beschneiden. Künftig darf es Gesetze nicht mehr inhaltlich überprüfen, sondern nur noch beurteilen, ob das Gesetzgebungsverfahren eingehalten wurde.

Die Richter hatten sich in den vergangenen Monaten bei Orbán immer wieder unbeliebt gemacht, indem sie umstrittene Gesetze kassierten. Dies wird in Zukunft deutlich schwerer - die Machtposition von Orbáns Fidesz-Partei wächst dagegen immer weiter. Eine Entwicklung, die vielen Ungarn Angst macht, auch der bekannten Soziologin Zsusza Ferge: "Leider habe ich während meiner langjährigen Praxis ein System erlebt, von dem ich dachte, dass es nie wiederkehrt. Das ist nun die dritte Diktatur meines Lebens, die sich da anbahnt. Was tut ihr, um zu zeigen, dass hier eine Demokratie herrschen soll?"

Schutz von Minderheiten - Fehlanzeige

Eine rhetorische Frage an die Demonstranten in der Budapester Innenstadt. Das Problem: Auf ebenjene Demokratie beruft sich auch die Regierung - schließlich habe der Wähler ja für ihre breite parlamentarische Unterstützung gesorgt. Dass zur Demokratie aber immer auch der Schutz von Minderheiten gehören muss, davon hört man in Budapest nichts. Im Gegenteil: Menschen, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft leben, werden nun noch kriminalisiert: Wer auf der Straße angetroffen wird und keinen festen Wohnsitz vorweisen kann, dem drohen Geldstrafen oder sogar Haft.

Auch der politische Gegner wird geschwächt, indem Wahlwerbung in privaten Sendern verboten wird. Künftig ist dafür nur noch das Staatsfernsehen zuständig, das bereits unter der Kontrolle von Fidesz-Leuten ist. In Kraft treten werden die Änderungen, sobald Ader sie unterzeichnet hat. Péter Molnár, einstiger Mitbegründer von Fidesz und inzwischen einer der schärfsten Kritiker der ungarischen Regierung, appelliert an den Präsidenten Ader: "János, du bist ein ernsthafter Jurist. Du weißt, dass nicht nur das Gewissen, sondern auch das Berufsethos es verbieten, dass du diese Änderungen unterschreibst. János, wir schauen dir auf die Finger. Hör auf dein Herz, unterschreibe nicht! Rette deine Ehre!"

Orbán straft Verfassungsgericht ab

Im Dezember hat János Áder schon einmal gezeigt, dass er zwar ein Präsident von Fidesz‘ Gnaden ist, aber dennoch nicht alles abnickt. Er verweigerte seine Unterschrift unter das neue Wahlgesetz und legte es dem Verfassungsgericht zur Überprüfung vor. Im Januar dann kippten die Richter die neuen Regeln, eine schwere Niederlage für Regierungschef Orbán, die eine der Triebfedern sein dürfte für den jetzigen Frontalangriff auf das höchste ungarische Gericht.

Mit einem umfassenden Veto des Präsidenten gegen die jüngsten Verfassungsänderungen rechnen politische Beobachter allerdings nicht. Áder lässt mitteilen, er werde seinen Standpunkt nach der Rückkehr aus Berlin darlegen. Inwiefern ihn der "durchaus kontroverse Meinungsaustausch" mit Westerwelle beeinflusst hat, wird sich wohl erst dann zeigen.