Sexuelle Belästigung (nachgestellte Szene)

Sexuelle Belästigung im EU-Parlament "Jeder Frau fallen ein, zwei Namen ein"

Stand: 24.10.2017 13:53 Uhr

Frauen, die von männlichen Abgeordneten begrapscht, verfolgt oder anderweitig belästigt wurden: Im Zuge des Weinstein-Skandals beginnen nun auch Mitarbeiterinnen des EU-Parlaments über das Thema sexuelle Belästigung zu reden.

Manchmal findet Sexismus im Europaparlament ganz öffentlich statt, für jeden hör- und sichtbar. Zum Beispiel, als vor einigen Monaten der polnische Konservative Janusz Korwin-Mikke zum Thema Gleichberechtigung von Männern und Frauen sagte, klar sollten Frauen "weniger verdienen als Männer", sie seien ja schließlich "schwächer, kleiner und dümmer".

Korwin-Mikke brachte diese Einlassung eine saftige Geldstrafe durch das Parlament ein. Doch mit solch kruden Ansichten über Frauen ist der Pole offenbar nicht allein - das Problem reicht viel tiefer und ist weitaus schlimmer. Mehrere Medien, darunter das Magazin "Politico" und die "Sunday Times" in Großbritannien, berichten nun über Dutzende sexuelle Übergriffe, die im Europaparlament vorgefallen sein sollen. Zumeist sind es Frauen, die von männlichen Abgeordneten begrapscht, verfolgt oder anderweitig belästigt wurden. In einigen Fällen sollen sexuelle Handlungen im Tausch für Jobs oder politische Gefälligkeiten eingefordert worden sein.

"In Machtsituationen gefangen"

Dass sich alle Opfer anonym gemeldet haben, und dass auch der Beschwerdeausschuss des Parlaments nichts von solchen Übergriffen weiß, wundert die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke nicht: "Häufig betrifft es Mitarbeiter, die in direkten Machtsituationen gefangen sind. Deswegen haben sich die Frauen, die davon berichtet haben, auch nicht mit Namen nennen lassen - weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren oder andere Konsequenzen erleiden zu müssen."

Auch an sie seien solche Geschichten schon herangetragen worden, sagt Reintke. Das Schema sei oft das gleiche: Männer, die politischen Einfluss haben - und zu haben glauben - nutzen ihre Machtposition aus, um ungestraft sexistische Kommentare zu äußern oder gar sexuell übergriffig zu werden.

Problemfall: Straßburg

Dies sei vor allem ein Problem, wenn das Parlament einmal im Monat in Straßburg zusammenkomme, erklärt Reintke. "In Straßburg ist es nochmal ein besonderes Problem: Hier schlafen alle Abgeordneten in Hotels, es gibt sehr entgrenzte Arbeitszeiten. Das führt dazu, dass das Ganze noch befeuert wird."

Reintke selbst hat im Parlament bereits offen berichtet, wie sie in Duisburg Opfer eines sexuellen Übergriffs wurde. Im Parlament sei ihr das allerdings noch nicht passiert, sagt die Grünen-Abgeordnete. Wer die beiden deutschen Abgeordneten sind, die nun von der "Sunday Times" ohne Namen als Täter genannt wurden, wisse sie nicht.

"Aber ich denke, jeder Frau fallen ein, zwei Namen ein", sagt sie. "Aber es sollte jetzt nicht das Ziel sein, wild rumzuspekulieren, sondern belastbare Aussagen zu bekommen und zu schauen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen können."

Per Twitter rief Reintke Opfer sexueller Belästigungen auf, unter #metooeu über ihre Erfahrungen zu berichten.

Parlamentspräsident lehnt Untersuchung ab

Das EU-Parlament will sich am Mittwoch in einer kurzfristig angesetzten Debatte mit den Vorwürfen auseinandersetzen. Die Grünen fordern zudem, dass den Opfern juristischer Beistand garantiert wird. Parlamentspräsident Antonio Tajani zeigte sich von den Anschuldigungen schockiert, lehnte eine externe Untersuchung allerdings ab.

Sebastian Schöbel, Sebastian Schöbel, RBB Brüssel, 24.10.2017 13:01 Uhr