
Debatte im Europaparlament Scharfer Streit um Schengen
Stand: 12.06.2012 14:19 Uhr
Empörung quer durch alle Fraktionen: Die EU-Parlamentarier haben die EU-Ratspräsidentschaft heftig für den Abbruch der Verhandlungen zur Schengen-Reform kritisiert. Strittig ist vor allem die Frage, wer bestimmt, ob innerhalb des Schengen-Raumes an den Grenzen kontrolliert wird.
Von Birgit Schmeitzner, BR-Hörfunkstudio Brüssel
So viel Einigkeit war selten - quer durch alle Fraktionen zieht sich der Sturm der Entrüstung. Der bezieht sich vor allem auf die dänische Ratspräsidentschaft, die die Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und den 27 EU-Staaten zur Schengen-Reform geleitet und in der vergangenen Woche abgebrochen hatte.
Für den Chef der konservativen Fraktion, Joseph Daull, ist damit jegliches Vertrauen zerstört. Der dänische Justizminister Morten Bødskov, der den Vorgang zu verteidigen hatte, verzog als Reaktion keine Miene. Er ließ dabei durchblicken, dass es für das Parlament noch heftiger hätte kommen können.
Streit um Schengen-Reform - Europaparlament empört sich
B. Schmeitzner, BR Brüssel
12.06.2012 13:38 Uhr
"Da trauen Sie sich noch hierher!"
Für den Fraktionschef der Sozialisten und Demokraten, Hannes Swoboda, ist das eine Frechheit: "Da trauen Sie sich noch, hierherzukommen und zu sagen: Wir sollen Ihnen dankbar sein, dass wir Schlimmeres verhindert haben", schimpfte er. "Ist das Ihre Vorstellung vom Europäischen Parlament - dass wir zu Boden kriechen und sagen: Ja danke, liebe Präsidentschaft, Ihr habt verhindert, dass es permanent neue Grenzen in Europa gibt?"
Nicht kriechen, sondern mitentscheiden wollen die Parlamentarier, wenn es darum geht, das Grenzmanagement an den Rändern des Schengen-Raums zu überprüfen und etwa Missstände an der griechisch-türkischen Grenze zu beheben.
Die Kommission will mehr Koordination, die Regierungen die Kontrolle
Bisher kontrollieren sich die Schengen-Staaten gegenseitig - ziemlich erfolglos, wie EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ätzte. Genau deshalb habe man ja nach einer Alternative gesucht.
Malmström will ein europäisch abgestimmtes Vorgehen, koordiniert von der EU-Kommission. Die Innenminister dagegen wollen beim neuen Notfallsystem das letzte Wort selbst behalten, bei dem ein Land seine Grenzen bis zu zwei Jahre schließen kann. Und zwar dann, wenn es seine Sicherheit durch löchrige Schengen-Außengrenzen und unkontrollierte Zuwanderung von Flüchtlingen torpediert sieht.
Und die Minister wollen auch bei der Überprüfung der Zustände selbst die Zügel in der Hand behalten. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich pocht darauf: Die Länder informieren das Parlament, aber mitentscheiden darf es nicht. So stehe es im Gesetz. Wenn man sich Regeln und bestimmte Vorschriften gebe, könne es nicht eine Frage der politischen Beliebigkeit sein, dass man diese Vorschriften dann wieder aufgebe, "weil der andere jetzt mit einer Blockade von irgendwas droht oder sonst irgendein Kuhhandel im Raume steht".
Die Stimmung ist vergiftet
Diese Worte lassen erkennen, wie wenig verhandlungsbereit die Länder sind. Kommissarin Malmström gab sich dennoch kämpferisch: Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen.
Und auch die Parlamentarier zeigen Zähne. Sie erwägen, alle Gespräche mit der dänischen Ratspräsidentschaft zu stoppen und auf den nächsten Ratspräsidenten Zypern zu hoffen. Und sie richten den Blick nach Luxemburg, zum Europäischen Gerichtshof.
Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms sagte an den dänischen Regierungsvertreter gewandt: "Das ist wirklich beschämend. Wir werden dagegen vor Gericht gehen. Das ist der traurigste Tag Ihrer Ratspräsidentschaft." Auch weil, so fügte Harms hinzu, die Länder es offensichtlich dem Parlament nicht zutrauen, im Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit zu Gunsten von Sicherheit zu entscheiden.