
Postenstreit EU-Gipfel muss sich vertagen
Stand: 01.07.2019 14:17 Uhr
Weber oder Timmermans - wer wird Kommissionschef der Europäischen Union? Der Gipfel hat sich vertagt, die Staats- und Regierungschefs sind weiter uneinig. Profitiert davon die Liberale Vestager?
Von Michael Grytz, ARD-Studio Brüssel
Der EU-Sondergipfel hat keine Lösung bei der Suche nach dem neuen Spitzenpersonal für die EU gebracht und ist vertagt worden. Die Staats- und Regierungschefs wollen am Dienstag weiter beraten, wie ein Sprecher von Ratspräsident Donald Tusk mitteilte.
Diskutiert wurden zuletzt folgende Namen: Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans könnte als neuer EU-Kommissionschef vorgeschlagen werden - vorbehaltlich der Zustimmung des Europaparlaments. Der liberale Belgier Charles Michel sollte neuer Außenbeauftragter werden und die bulgarische Konservative Kristalina Georgieva - aktuell Vertreterin der Weltbank - neue Ratspräsidentin.
Damit wäre ein Ausgleich der Parteien gegeben und eine Frau dabei, zudem aus einem osteuropäischen Land.
Parlament will Spitzenkandidatensystem verteidigen
Doch für mehrere osteuropäische Länder ist Timmermans schwer vermittelbar. Ob es also zu einer solchen Einigung kommt, ist ungewiss. Zwar könnte das Europaparlament sein Spitzenkandidatensystem damit verteidigen, allerdings zu einem hohen Preis.
Eigentlich sollte dieses System mehr Demokratie in den europäischen Prozess bringen. Wenn aber nun der eigentliche Wahlverlierer - die Sozialdemokraten hatten europaweit viele Stimmen eingebüßt - auf Umwegen zum Gewinner würde, könnte das einen Vertrauensverlust in die Europawahl nach sich ziehen.
Das Spitzenkandidatensystem steht so nicht im Vertrag. Die Parlamentarier haben es dem EU-Rat vor der Europawahl 2014 aufgedrückt. Das passt vielen Staats- und Regierungschefs nicht - unter anderem dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
EU-Verhandlungsmarathon - Gespräche über Spitzenposten auf Dienstag vertagt
tagesschau 15:00 Uhr, 01.07.2019, Judith Wedel, ARD Brüssel
Widerstand der Visigradstaaten
Begonnen hatte der Gipfel mit fast drei Stunden Verspätung am Sonntagabend. Der Grund lag darin, dass die Gipfelteilnehmer schon vorher eine Reihe kleinerer Vor- und Nebengipfel abhielten. Bundeskanzlerin Angela Merkel traf den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez und Macron.
Besonders wichtig aber waren die Unterredungen mit den Regierungschefs aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei - den sogenannten Visegradstaaten. Deren Widerstand gegen Timmermans ist besonders groß. So polterte der polnische Ministerpräsident Leo Mateusz Morawiecki, Timmermans sei ein Kandidat der Europa spaltet. Er verstehe die Osteuropäer nicht.
Timmermans hatte Polen und andere immer wieder wegen Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit kritisiert.
Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis zeigte sich da etwas offener: "Rote Linien? Wir sind flexibel, wir müssen verhandeln", sagte er.
Unterstützung für Weber unterschätzt
Timmermans war da noch im Spiel. Für Weber war zu diesem Zeitpunkt klar, es würde keine Mehrheit für ihn unter den Staats- und Regierungschefs geben. Gleichwohl machte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar klar: Die meisten der EVP Ministerpräsidenten meinen, dass man den Posten des Kommissionspräsidenten nicht so einfach aufgeben darf. Und spätestens dann war klar: Möglicherweise haben Merkel und andere Unterstützer den Widerstand unterschätzt.
Am Samstag um 23.45 Uhr wurde der Gipfel zum ersten Mal unterbrochen.
Vestager als Alternative
Dennoch: Während Timmermans den Visegradstaaten kaum oder gar nicht vermittelbar ist, wird Weber von Macron weiter abgelehnt. Es bliebe also noch als Spitzenkandidatin die Liberale Margrete Vestager aus Dänemark. Sie ist zwar nur eine "halbe" Spitzenkandidatin, denn sie sagte erst am Wahlabend wirklich, dass sie antreten wolle. Aber immerhin könnte man mit ihr vielleicht halbwegs glaubwürdig das Spitzenkandidatensystem retten.
Kommt jemand ganz anderes, halten viele das System für tot.
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