
Pushback-Vorwürfe EU-Behörde ermittelt gegen Frontex
Die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde nimmt das Gebaren der Grenzschützer von Frontex unter die Lupe. Dabei soll es um die Vorwürfe der illegalen Zurückweisung von Flüchtlingen gehen. Im Fokus steht Frontex-Chef Leggeri.
Modern geschnitten, marineblau und mit der Rückenaufschrift "Frontex": So sehen die neuen Uniformen aus, die die EU-Grenzschutzagentur in einem Video präsentiert. Als erster uniformierter Dienst der EU soll Frontex nicht nur personell massiv aufgestockt, sondern generell sichtbarer werden.
Doch für Aufsehen sorgen eher die Ermittlungen der europäischen Anti-Betrugsbehörde OLAF gegen die EU-Grenzschützer. In einer E-Mail, die auch dem ARD-Studio Brüssel vorliegt, berichtet darüber ein anonymer Informant aus der Frontex-Zentrale in Warschau. OLAF habe Anfang Dezember dort Mitarbeiter vernommen und Büros durchsucht, heißt es. Darunter sei auch jenes von Direktor Fabrice Leggeri gewesen.
Zwei Affären hängen zusammen
Frontex bestätigt die Ermittlungen, der EU-Kommission ist die Angelegenheit peinlich. "Natürlich erwarten wir, dass Frontex vollständig kooperiert", erklärte Kommissionsprecher Adalbert Jahnz. Brüssel vertraue darauf, dass der geschäftsführende Direktor alle wichtigen Fragen in konstruktiver Weise mit dem Verwaltungsrat bespricht. Gemeint sind damit die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten.
Wenn OLAF eingeschaltet wird, geht es immer um Betrug, um Korruption, um Fehlverhalten und Pflichtverletzungen innerhalb der Organe und Einrichtungen der EU. OLAF hält dem Frontex-Direktor vor, er habe Mitarbeiter eingeschüchtert, auch solche aus dem Bereich der Einheit für Grundrechte, die die Behörde eigentlich intern kontrollieren soll. Genau deshalb gehen viele Beobachter davon aus, dass die Untersuchung zur Führungskultur bei Frontex mit der Affäre um angeblich vertuschte Pushbacks im östlichen Mittelmeer zusammenhängt.
Vorfälle wurden nicht gemeldet
"Der Spiegel", "Bellingcat", "Lighthouse Reports" und auch die ARD hatten im vergangenen Jahr dokumentiert, dass Frontex in der Ägäis in solche illegalen Rückführungen von Geflüchteten verwickelt ist. Noch Anfang Dezember bestritt Frontex-Direktor Leggeri diese Vorwürfe vor dem Justiz- und Innenausschuss des EU-Parlaments. "Wir haben keine Beweise dafür, dass bei unseren Einsätzen eine aktive, direkte oder indirekte Beteiligung von Frontex-Beamten an Pushbacks gegeben hat", sagte er damals.
Doch den investigativen Recherchen zufolge war Frontex seit April 2020 an mindestens sechs Pushbacks beteiligt. Ein über Informationsfreiheitsanfrage veröffentlichter E-Mail-Verkehr aus der Frontex-Zentrale legt nahe, das Frontex schon frühere Vorfälle nicht gemeldet oder untersucht, sondern auf Anweisung von Leggeri unter der Teppich gekehrt hatte. Der Ärger darüber war schon im Dezember groß, als der Frontex-Direktor vor dem EU-Parlament in Erklärungsnot geriet.
Frontex-Chef wich aus
"Ich frage mich schon, wie Sie ihre eigene Verantwortung sehen", beklagte sich damals die liberale Abgeordnete Sophie in `t Veld bei Leggeri. "Wir sprechen hier über Menschenrechtsverletzungen, über Pushbacks, über Menschen, die unter Waffengewalt zur Umkehr gezwungen werden." Doch Leggeri habe nur juristische Detailananalysen geliefert. "Dabei wären Sie schon allein als EU-Bürger in der Verantwortung, zu handeln!", sagte die Abgeordnete.
Dieser Verantwortung scheint Frontex bis heute nicht nachzukommen. Anders ist kaum zu erklären, warum erst die Kommission Frontex zur internen Aufarbeitung aufruft, dann die EU-Bürgerbeauftragte eine Untersuchung gegen Frontex anstrengt, und nun auch die Anti-Betrugsbehörde OLAF ermittelt.
Ein Problem für die EU
Der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt fordert nun einen Untersuchungsausschuss im EU-Parlament. "EU-Behörden müssen sich an Recht und Gesetz halten, sonst sind wir kein Rechtsstaat mehr", sagte er. "Darf man Menschen in der Europäischen Union aus politischem Interesse einfach foltern, misshandeln, auf dem Wasser aussetzen?" Diese Frage müsse man klar beantworten.
Noch ist nicht klar, wie Frontex sie beantwortet. Klar ist nur: Die Grenzschutzbehörde folgt ihrem von der EU erteilten Auftrag. Und damit wird die Frontex-Affäre zu einem Problem für die Kommission - und die Mitgliedsstaaten.