Annalena Baerbock spricht zur Eröffnung der Berlin Climate and Security Conference 2022 im Auswärtigen Amt.

Mahnungen vor COP27 "Menschheit steuert auf Abgrund zu"

Stand: 06.11.2022 11:08 Uhr

Mit Blick auf die Weltklimakonferenz überwiegt bei vielen Wissenschaftlern der Pessimismus. Außenministerin Baerbock mahnte, 2022 dürfe trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine kein verlorenes Jahr für den Klimaschutz werden.

Im ägyptischen Sharm El-Scheikh hat die 27. UN-Klimakonferenz (COP27) begonnen.Kurz vor Beginn bezeichnete Deutschland die Eindämmung der Erderwärmung als höchste Priorität. "Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu, auf eine Erwärmung von über 2,5 Grad, mit verheerenden Auswirkungen auf unser Leben auf dem einzigen Planeten, den wir haben", teilte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit. Die Welt habe "alle nötigen Instrumente in der Hand, um die Klimakrise zu begrenzen und auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen".

Trotz des russischen Angriffskriegs in der Ukraine dürfe 2022 "kein verlorenes Jahr für den Klimaschutz werden. Für viele Staaten geht es um das Überleben ihrer Bevölkerung und ihrer Kultur", teilte Baerbock mit den Ministerien für Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt mit. "Für sie ist die Klimakrise weiterhin das wichtigste Sicherheitsthema, nicht Russlands Krieg in Europa." Diese Staaten würden von den reichen Ländern mehr Solidarität erwarten.

Niedrige Erwartungen

Wegen des laufenden Kriegs in Europa, aber auch wegen der damit teilweise zusammenhängenden Krisen bei Energie, Ernährung, Wirtschaft sowie wachsender Staatsschulden sind die Erwartungen an die Klimakonferenz eher gedämpft - auch im Vergleich zur COP26 vor einem Jahr in Glasgow.

Bei der Konferenz, die erstmals seit 2016 wieder in Afrika stattfindet, werden etwa 30.000 Teilnehmer erwartet. Auf der COP27 verhandeln Vertreter aus knapp 200 Staaten in Sharm El-Sheikh fast zwei Wochen lang darüber, wie der Kampf gegen die Erderhitzung verstärkt werden kann.

Die Zeit drängt, denn die vergangenen sieben Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Extremwetterereignisse unter anderem in Pakistan, Nigeria und Somalia zeigten zuletzt, welche enormen Schäden und welch tödliche Zerstörungskraft der Klimawandel mit sich bringt.

Latif: Konferenzen "nicht zielführend"

Mojib Latif, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, zeigte sich bereits vor Beginn resigniert und stellte die Klimakonferenzen insgesamt infrage: "Da werden keine Durchbrüche erzielt", sagte er der Mediengruppe Bayern. Die Konferenzen seien "nicht zielführend", denn dort würden "Papiere mit wenig Substanz als großer Fortschritt gefeiert."

Nach Einschätzungen von Forschern müssten die weltweiten Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase bis 2030 um die Hälfte sinken. Anders sei das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, nicht mehr zu erreichen. Doch die bislang vorgelegten Klimaschutzpläne der Staaten sehen sogar weiter anwachsende Emissionen vor.

Die Gefahr: Klima-Kipppunkte

Und selbst das 1,5-Grad-Ziel ist nach Ansicht von Klimaforschern zu wenig. Johan Rockström, einer der Direktoren des Potsdam-Institus für Klimafolgenforschung (PIK), hatte zusammen mit anderen Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Science" dargelegt, warum: Es sei möglich, dass einige Kipppunkte, ab denen sich die Klimaerhitzung von selbst weiter beschleunige, bereits erreicht seien.

Dazu gehöre das Abtauen der Eispanzer in Grönland und in der westlichen Antarktis, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS). Deshalb müsste die Zielmarke eigentlich bei 1,3 Grad maximaler Erwärmung liegen. Eine Erwärmung um 1,2 Grad sei bereits erreicht.

Rockström sagte jedoch weiter, er sei Pragmatiker und sehe "null" Chancen, eine ehrgeizigere Marke als die 1,5 Grad durchzusetzen. "Das Pariser Abkommen ist das einzige verbindliche Dokument, das wir haben. Deshalb verteidige ich es", sagte er der FAS. Er plädierte außerdem dafür, dass Deutschland zwar keine neuen Atomkraftwerke bauen, die bestehenden aber länger laufen lassen solle, solange sie sicher seien.

Habeck: Industrienationen müssen vorangehen

Wirtschaftsminister Robert Habeck, zu dessen Aufgabengebieten in der Bundesregierung auch der Klimaschutz gehört, mahnte trotzdem entschlossenes Handeln an. Die COP27 müsse Ergebnisse bringen, sagte Habeck in einem bei Twitter veröffentlichten Video, denn die Welt habe ein weiteres "Katastrophenjahr" mit galoppierender Erderwärmung erlebt. Bisher bewege sich die Weltgemeinschaft nicht genug in Richtung Klimaneutralität.

Deutschland müsse mit anderen Industrieländern eine Vorreiterrolle einnehmen: Zwar stehe Deutschland nur für ungefähr zwei Prozent der weltweiten Emissionen, aber "gerade, weil Deutschland alle Möglichkeiten hat, sind sehr viele Augen auf Deutschland gerichtet. Wenn wir es nicht hinbekommen (...), mit allen unseren finanziellen und technischen Möglichkeiten (...), dann werden die anderen 98 Prozent ebenfalls sich nicht daran beteiligen", sagte Habeck.

Timmermans für schärfere EU-Klimaziele

Der EU-Kommissionsvize Frans Timmermans brachte verschärfte EU-Klimaziele ins Gespräch. "Wir schaffen es vielleicht sogar, in Ägypten konkrete Maßnahmen zu präsentieren, um unsere Emissionen um mehr als 55 Prozent zu senken", sagte er dem "Spiegel". "Das wäre wichtig, denn momentan redet international kaum noch jemand über Emissionen."

Den USA warf er vor, sich finanziell nicht an dem Klimafonds zu beteiligen, aus dem Klimaschutzmaßnahmen für Entwicklungsländer bezahlt werden sollen. "Wir zahlen jedes Jahr mindestens 25 Milliarden Dollar, es sind die Amerikaner, die hier nicht liefern", sagte Timmermans. Auch US-Präsident Joe Biden halte bisher nicht, was er versprochen habe. "Ich verstehe gut, dass sich der globale Süden darüber beschwert."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. November 2022 um 05:00 Uhr.