
Tag der Deutschen Einheit Als aus "zwei Deutschlands" eins wurde
Stand: 03.10.2020 01:15 Uhr
Vor 30 Jahren freuten sich in Europa nicht alle über die Wiedervereinigung. Heute blicken viele Staaten mit Anerkennung auf Deutschland - doch die Vergangenheit hallt nach.
Frankreich: Früher Konkurrenz, heute Anerkennung
Die Franzosen haben Mauerfall und Deutsche Einheit mit einer Mischung aus Faszination und Sorge erlebt. Es überwog zweifellos die Freude, aber schnell kamen auch - besonders in den Medien - Befürchtungen hoch, dass das wiedervereinigte, um 17 Millionen Menschen gewachsene Deutschland wirtschaftlich noch stärker werden und dann auch politisch wieder eine Hegemonie anstreben könnte. Viel zitiert wurde damals der Spruch des Schriftstellers François Mauriac von 1966, er liebe Deutschland so sehr, dass er zufrieden sei, dass es gleich zwei davon gibt.
Ganz in diesem Sinne wurde dem damaligen französischen Präsidenten François Mitterand oft unterstellt, er habe die Einheit hintertreiben oder zumindest bremsen wollen. Richtig ist, dass er in den Verhandlungen auf zwei Punkten bestand: die Anerkennung der Nachkriegsgrenzen und die feste Verankerung Deutschlands in der europäischen Gemeinschaft. Grundsätzlich, das belegen die Archive, hatte Mitterand aber die Deutsche Einheit als eine ganz natürliche Entwicklung ohne Zögern akzeptiert.
Mittlerweile sind 30 Jahre vergangen und die damaligen Sorgen haben sich weitgehend gelegt. Deutschland gilt - mit Hoch und Tiefs - als enger und zuverlässiger europäischer Partner. Seit dem deutsch-französischen Deal zur europäischen Wiederaufbauinitiative passt - zumindest verbal - kein Blatt zwischen die Regierungen beider Länder. Das alte Feindbild ist tot, das Schimpfwort "boches" für die Deutschen aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Die regelmäßigen Attacken von ganz rechts und ganz links, dass die französische Regierung eine Befehlsempfängerin der Deutschen sei, verfangen in der Öffentlichkeit kaum. Und seit der Corona-Krise kennt die Bewunderung für den östlichen Nachbarn kein Halten mehr. Auch wenn Editorialisten fragen, warum Deutschland immer gewinne, bei der Eindämmung der Epidemie und ihren wirtschaftlichen Folgen, schwingen da weder Missgunst noch Angst mit. Und selbst die lange viel belächelte föderalistische Kleinstaaterei wird mittlerweile eher als Trumpfkarte gesehen.
Wie blickt Frankreich auf die deutsche Einheit
Martin Bohne, ARD Paris
03.10.2020 09:49 Uhr
Martin Bohne, ARD-Studio Paris
Großbritannien: Einst Misstrauen, nun Verwunderung
Viele Sorgen, große Skepsis gab es vor 30 Jahren in Großbritannien - bei vielen Briten, definitiv aber in Downing Street. Der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher ging die Wiedervereinigung zu schnell, sie traute Deutschland nicht, war geprägt von ihrer Jugend im Zweiten Weltkrieg. Die Skepsis wich danach allmählich Respekt vor der Integrationsleistung des neuen, größeren Deutschlands - wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Mit gemischten Gefühlen blickt man in London auf die Kanzlerin Angela Merkel. Mancher macht sie dafür mitverantwortlich, dass die EU britischen Sonderwünschen gegenüber oft hart blieb und dass Premier David Cameron schließlich den Weg zum Brexit-Referendum einschlug. Doch heute schlägt Merkel oft Bewunderung entgegen für ihre ruhige, aber bestimmte Art, ihr Durchhaltevermögen, ihre Krisenfestigkeit: in der Finanzkrise, während des Flüchtlingszustroms - und natürlich in der Corona-Pandemie. Verwundert reiben sich Politik, Wissenschaft und Medien in Großbritannien die Augen, wie es Deutschland schafft, dem Virus so viel besser zu widerstehen. Und wie es dabei ohne radikalen Lockdown auskommt und die ganz große Rezession bisher vermeiden konnte.
Wahrgenommen werden hier aber auch Rechtsterrorismus, Corona-Demos und Rassismus. Mit Sorge, aber ohne sofort - wie früher oft - Vergleiche zur NS-Zeit zu ziehen. In wirtschaftlich und politisch turbulenten Zeiten nimmt man sich deutsche Konzepte zum Vorbild: von Kurzarbeit über Weiterbildung bis zu einer Gesundheitsbehörde wie dem Robert Koch-Institut. Deutschland trendet hier in Großbritannien.
Christoph Heinzle, ARD-Studio London
Großbritanniens Blick auf Deutschland 30 Jahre nach der Einheit
Christoph Heinzle, ARD London
03.10.2020 10:10 Uhr
Polen: Kein Traumland, aber geschätzter Partner
Polen blickt recht stark auf Deutschland, zumal viele Polen dorthin ausgewandert sind. Ein Traumland ist es für die wenigsten, aber doch eines, das wegen seines Wohlstands und der Wirtschaftskraft anziehend ist, aber immer auch ein bisschen bedrohlich erscheint. Vor allem seit die PiS-Partei um Jaroslaw Kaczynski wieder regiert, erscheint Deutschland in Medien und Politik immer mal wieder als arrogant und gefährlich.
Leicht gefallen sind in Umfragen die eigentlich ganz guten Sympathiewerte, und die sind erstaunlich - zumal der Krieg und die sechsjährige, brutale Besatzungsherrschaft unter den Nationalsozialisten das Land zerstört und Millionen Polen das Leben gekostet hat. Ein präsentes Thema - wer in Polen nach spontanen Assoziationen fragt, hört häufig: Hitler, Krieg, Besatzung.
Andererseits ist das heutige Deutschland ein geschätzter Wirtschaftspartner und wird von vielen auch als Partner in EU und NATO geschätzt: Der frühere polnische Außenminister Radoslaw Sikorski meinte 2011, er habe mehr Angst vor einem tatenlosen als einem starken Deutschland. In seiner Heimat bekam er dafür nicht nur Beifall: PiS-Chef Kaczynski meinte, Sikorski gehöre für seine Worte vor ein Staatstribunal.
Von Jan Pallokat, ARD-Studio Warschau
Polens Blick auf das vereinte Deutschland
Jan Pallokat, ARD Warschau
03.10.2020 09:47 Uhr
30 Jahre Deutsche Einheit
tagesschau24 09:00 Uhr, 03.10.2020, Anke Hahn, RBB
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