
Corona-Krise in Schweden Auch ohne Lockdown down
Stand: 20.05.2020 09:07 Uhr
Die Konjunktur in Schweden geht steil herunter - obwohl das Wirtschaftsleben wegen Corona nicht heruntergefahren wurde. Wirtschaftsexperten sind geschockt. Dabei ist der Grund naheliegend.
Von Carsten Schmiester, ARD-Studio Stockholm
Schweden fühlt sich in diesen Tagen offenbar besser an, als es tatsächlich ist. Der Versuch, die Corona-Krise ohne Lockdown zu meistern, mit geöffneten Geschäften und Restaurants und dem Verzicht auf erhebliche Einschränkungen im Alltag - das alles schafft ein Gefühl der Fast-Normalität.
Überrascht und geschockt
Privat, aber nicht in der Wirtschaft, so Urban Hansson Brusewitz, Chef des schwedischen Wirtschaftsforschungsinstituts NIER:
"Unser Frühjahrskonjunkturindikator geht steil runter in den Keller. Wir sind wirklich überrascht, regelrecht geschockt."
Sein Institut erwarte für dieses Jahr ein um sieben Prozent geringeres Bruttoinlandsprodukt und das Ansteigen der Arbeitslosigkeit auf etwa zehn Prozent, sagte er weiter im Sender TV4.
Der Grund: Exportabhängigkeit
Ähnlich düster liest sich auch der aktuelle Konjunkturbericht der Handelsbank, den Chefökonomin Christina Nyman vorgestellt hat: "Ohne Lockdown könnte man glauben, dass wir die Krise besser meistern. Aber wir sind eine kleine, exportabhängige Wirtschaft und werden meist härter von Ereignissen außerhalb unserer Grenzen getroffen. Dazu sind schwedische Haushalte hoch verschuldet. Schaut man auf den Gesamteffekt der Corona-Krise liegt Schweden voraussichtlich im europäischen Schnitt."
Junge Leute verlieren Jobs
Annika Sundén spricht für das schwedische Arbeitsamt und beklagt ganz besonders eine negative Entwicklung. Danach haben bisher vor allem junge Leute in der Corona-Krise ihre Jobs verloren. Aktuell sind etwa elf Prozent aller 18- bis 25-Jährigen arbeitslos, knapp drei Prozent mehr als der nationale Schnitt: "Das liegt daran, dass die Branchen am meisten leiden, die besonders viele Einsteigerjobs bieten - Hotels, Restaurants, Zeitarbeitsfirmen. In früheren Krisen waren Industrie und Baubranche besonders betroffen, jetzt leiden andere Sektoren, weil wir zum Beispiel nicht mehr essen gehen oder reisen."
Vorsicht auf dem Land und in Vorstädten
Obwohl das alles - Restaurantbesuche, Reisen, Einkaufen - eigentlich nie verboten war. Aber die Bilder voller Kneipen und Restaurants in Stockholm oder Göteborg täuschen wohl. In den Vorstädten und auf dem Land bleiben viele lieber zu Hause.
Das gilt auch für das Einkaufen. Besonders hart hat es dabei laut Handelsvereinigung Schuh- und Sportartikelgeschäfte erwischt, aber auch die Modebranche beklagt erhebliche Umsatzeinbußen.
Klagen über schleppende Finanzhilfen
Hinzu kommen wochenlange Produktionsstopps bei großen Unternehmen wie Scania oder Volvo. Aktuell klagen zudem viele über schleppend bis noch gar nicht geleistete Finanzhilfen der Regierung.
Das wiederum trifft vor allem kleinere Unternehmen, von denen viele in der Tourismusbranche aktiv sind. Sie fürchten um das Sommergeschäft mit aus- und inländischen Touristen, nachdem die Regierung selbst die Schweden gebeten hat, möglichst nicht weiter als zwei Autostunden im Land herumzureisen.
Schätzung: Rund 10.000 Pleiten
Damit steht für Johan Kreicbergs vom schwedischen Unternehmerverband fest: Ja, auch wir sind in der Krise und die ist noch lange nicht vorbei. Er befürchtet, dass es in diesem Jahr um die 10.000 Pleiten geben wird: "Wir rechnen damit, dass die Konkursrate im Sommer etwa 50 Prozent höher liegt als üblich. Unternehmen fangen jetzt schon damit an, ihre Reserven aufzubrauchen."
Auch ohne Lockdown: Schwedens Wirtschaft in der Coronakrise
Carsten Schmiester, ARD Stockholm
20.05.2020 08:01 Uhr
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