
Alle Minister entlassen Massenproteste krempeln Chile um
Stand: 27.10.2019 02:54 Uhr
In Chile haben die Massenproteste politische Folgen. Präsident Piñera hat alle seine Minister entlassen. Zuletzt hatten allein in der Hauptstadt Santiago mehr als eine Million Menschen demonstriert.
Von Ivo Marusczyk, ARD-Studio Buenos Aires
Zum ersten Mal seit einer Woche gab es keine Ausgangssperre in Santiago. Fünf von sieben U-Bahnlinien fahren wieder und falls es nicht wieder zu Plünderungen kommt, soll der Ausnahmezustand in der Nacht aufgehoben werden. Das heißt: keine Soldaten mehr auf den Straßen - erste Schritte hin zur Normalität.
Aber die Massenproteste in Chile haben das Land verändert. Und sie haben politische Folgen. Präsident Piñera gab sich beeindruckt und geläutert: "Wir haben die tief greifende Botschaft der Chileninnen und Chilenen gehört, die eine gerechtere und solidarischere Gesellschaft verlangen."
Sämtliche Minister entlassen
Piñera feuerte sein ganzes Kabinett - damit ein neuer Ministerrat sich mit den neuen Forderungen aller Chilenen auseinandersetzen kann, wie er sagte. Damit erspart er sich unter anderem die Peinlichkeit, seinen Cousin Andrés Chadwick zu entlassen. Der war als Innenminister wegen unnötiger Brutalität der Polizei in die Kritik geraten.
Piñera erneuerte sein Versprechen, mit einem umfangreichen Sozialprogramm Forderungen der Demonstranten zu erfüllen. Er selbst will aber im Amt bleiben. "Wir haben alle die Botschaft gehört, wir alle haben uns geändert, jetzt müssen wir die Kräfte bündeln, um ehrliche, schnelle und verantwortungsbewusste Antworten auf diese sozialen Forderungen aller Chilenen zu geben.
Proteste in Chile gegen Sozialpolitik der Regierung
tagesschau 17:00 Uhr, 26.10.2019, Matthias Ebert, ARD Rio de Janeiro
Mehr als eine Million Demonstranten
Am Freitag hatte allein in der Hauptstadt Santiago mehr als eine Million Menschen friedlich demonstriert. Sie forderten einen Wechsel in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Chile ist zwar wirtschaftlich das erfolgreichste und stabilste Land Südamerikas - aber gleichzeitig das Land mit der größten sozialen Ungleichheit. Das Wirtschaftsmodell hat sich seit der Zeit der Pinochet-Diktatur nicht geändert.
Auch am Samstag versammelten sich wieder Demonstranten an der Plaza Italia, die Kundgebung fiel jedoch wesentlich kleiner aus. Aber die Stimmung hat sich geändert. Aus gewalttätigen Ausschreitungen ist eine friedliche, aber machtvolle Massenbewegung geworden.
Gemeinsam gegen die Regierung
"Das war ein Wendepunkt. Eine so große soziale Demonstration hat es in den letzten 30 Jahren nicht gegeben. Damit beginnt eine neue Zeitrechnung", hofft ein Mann. "Die sollten auf die Leute hören, die friedlich demonstriert haben", meint ein anderer. "Hier sind alle zusammengekommen, egal aus welcher politischen Ecke, sogar Fans verfeindeter Fußballvereine, alle sind auf die Straßen gegangen.
Eine Frau sagt: "Ich hoffe, es gibt weitere Kundgebungen. Damit die da oben begreifen, dass die Chilenen aufgewacht sind und aufbegehren. Denn bis jetzt interessiert die Senatoren und Abgeordneten doch nur, wie sie am meisten Geld auf die Seite schaffen können."
Piñera hatte unter anderem höhere Mindestrenten und Mindestlöhne versprochen, eine Krankenversicherung, die bei bestimmten schweren Krankheiten einspringen soll - im Gegenzug werden die Bezüge von Politikern und Spitzenbeamten gekürzt und Steuern für höhere Einkommen erhöht.
Noch ist nicht klar, ob die Demonstranten sich mit diesen Versprechen zufrieden geben, Viel internationale Aufmerksamkeit ist Chile in den nächsten Wochen gewiss: Anfang Dezember ist das Land Gastgeber des Weltklimagipfels, schon in drei Wochen sollen die Regierungschefs der Pazifik-Anrainerstaaten sich in Santiago treffen.
Massenproteste krempeln Chile um
Ivo Marusczyk, ARD Buenos Aires
27.10.2019 00:22 Uhr
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