Boris Johnson

Vier Szenarien Wie das Brexit-Drama weitergehen könnte

Stand: 18.10.2019 20:56 Uhr

Seit 2016 quält sich Großbritannien - und damit auch Brüssel - mit dem Austritt aus der EU. Jetzt steht schon wieder ein Schicksalstag an.

Mit Brüssel hat Boris Johnson in letzter Minute einen Pakt für einen pünktlichen EU-Austritt am 31. Oktober geschmiedet, aber zuletzt schien die ausführlich gefeierte Großtat gar nicht mehr viel wert zu sein. Einen Tag nur hatte der britische Premierminister, um seinem Deal eine Mehrheit im britischen Unterhaus zu sichern. Ob er heute die nötigen Stimmen zusammenbekommt, ist äußerst fraglich. Die häufigste Frage deshalb: Was wäre wenn? Wie geht dieses unendliche Drama aus - und wann ist es endlich zu Ende? Vier Szenarien:

Szenario 1: Der Deal geht durch

Findet der geänderte Austrittsvertrag die Unterstützung im Unterhaus, ist alles auf der Schiene für einen geordneten Austritt am 31. Oktober. Dann kommen am Sonntag die EU-Botschafter zusammen, um die Ratifizierung zu starten, und das Abkommen geht an das Europaparlament. Aus Brüsseler Sicht könnte der Vertrag schon am Donnerstag unter Dach und Fach sein. Die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens würde am 31. Oktober enden, dann würde aber sofort eine Übergangsfrist losgehen, in der sich praktisch nichts ändert.

Ob es wirklich so schnell geht, ist aber fraglich. In London müsste innerhalb von nur acht Sitzungstagen das Gesetz zur Ratifizierung des Abkommens durch beide Kammern des Parlaments gepeitscht werden. Der Gesetzentwurf liegt noch nicht vor, doch es wird davon ausgegangen, dass darin weitreichende gesetzgeberische Kompetenzen an die Regierung übertragen werden sollen. Eine parteiübergreifende Gruppe von Parlamentariern will daher am Samstag die Zustimmung zum Brexit-Deal bis zur Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes verschieben.

Szenario 2: Der Deal wird abgelehnt und Johnson beantragt Aufschub

Johnson ist nach einem britischen Gesetz (Benn Act) verpflichtet, bei der EU um eine weitere Verlängerung der Austrittsfrist um drei Monate zu bitten, sofern bis 19. Oktober kein Deal gebilligt ist - also bis Samstag. Das wäre also der nächste logische Schritt. Einem solchen Antrag würden die 27 übrigen EU-Staaten mit hoher Wahrscheinlichkeit stattgeben.

Zwar sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Donnerstag, man habe ja jetzt einen Deal, da sei eine Verschiebung nicht mehr nötig. Doch verstanden Diplomaten das als taktisches Manöver, um Johnson vor der Abstimmung den Rücken zu stärken. Die Entscheidung läge auch gar nicht bei Juncker, sondern bei den EU-Staaten. Wie lange die EU Aufschub gewähren könnte, ist unklar. Formal verlangt Brüssel eine Begründung, zum Beispiel die Ausrufung von Neuwahlen oder eines Referendums.

Eine Verschiebung wäre auch notwendig, wenn das Unterhaus am Samstag für den Vorschlag stimmen sollte, erst das Ratifizierungsgesetz zu verabschieden.

Szenario 3: Der Deal wird abgelehnt und Johnson tut nichts

Johnson hat seit seinem Amtsantritt im Juli so viele Haken geschlagen, dass ihm viele nicht hundertprozentig trauen. So wird auch weiter nicht ausgeschlossen, dass er versuchen könnte, sich irgendwie aus der gesetzlichen Vorgabe herauszuwinden, nach der er eine Verlängerung der Brexit-Frist beantragen müsste, falls sein Deal durchfällt.

In diesem Fall gäbe es wohl in Großbritannien eine juristische Schlacht mit ungewissem Ausgang. Eine Anhörung vor dem obersten Gericht in Schottland könnte dazu bereits am Dienstag stattfinden. Die Mehrheit im britischen Unterhaus könnte auch versuchen, Johnson mit einem Misstrauensvotum zu stürzen und selbst die Regierung zu übernehmen. In beiden Fällen liefe es mit einiger Wahrscheinlichkeit doch auf eine Verschiebung hinaus.

Der britische Premier Boris Johnson äußert sich vor Journalisten zum neuen Brexit-Deal.

Er wolle "lieber tot im Graben" liegen, als eine Brexit-Verschiebung zu beantragen: Boris Johnson

Szenario 4: Der No-Deal-Chaos-Brexit

Johnson hat immer und immer wieder gesagt, Großbritannien würde notfalls auch ohne Vertrag am 31. Oktober austreten. Dafür müsste der Premier aber laut Benn Act eine Mehrheit im Parlament sichern. Eine entsprechende Abstimmung ist für Samstag vorgesehen, sollte der Deal durchfallen. Doch wenn sich eines als sicher herausgestellt hat, dann dass es im britischen Parlament keine Mehrheit für den No Deal gibt.

Nach seinem Auftritt beim EU-Gipfel halten Diplomaten in Brüssel auch für sehr unwahrscheinlich, dass Johnson einen ungeregelten Brexit anstrebt. Würde der Premier den Deal in den Papierkorb werfen, den er gerade als exzellent, hervorragend und großartig gepriesen hat? Vielmehr könnte Johnson dies als Hebel im Wahlkampf nutzen nach dem Motto: Gebt mir eine Mehrheit, dann kriegt ihr diesen großartigen Brexit.

Jens-Peter Marquardt, Jens-Peter Marquardt, ARD London, 18.10.2019 21:12 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Oktober 2019 um 18:17 Uhr.