Flagge in London
Analyse

Britischer EU-Austritt Verirrt im Brexit-Labyrinth

Stand: 02.03.2019 05:56 Uhr

Großbritannien ist in einer ausweglosen Situation: Mays Angebot, über eine Verschiebung des Brexit abzustimmen, ist nur ein taktisches Manöver, sagt Annette Dittert. Und ein zweites Referendum wäre womöglich auch keine Lösung.

Auf den ersten Blick sah der gestrige Auftritt Theresa Mays so aus, als habe die Vernunft gesiegt. Ihr Angebot an das Parlament, über eine mögliche Verschiebung des Austrittsdatums und den drohenden "No Deal" doch noch einmal abzustimmen, ist im Prinzip richtig und notwendig.

Niemand, der sich auch nur für fünf Minuten mit der Materie ernsthaft beschäftigt, wird noch behaupten, dass Großbritannien in nur einem Monat die EU ohne Übergangsregelung verlassen kann, ohne sich selbst schwer zu schaden. Die Insel ist auch nach zwei Jahren darauf nicht ansatzweise vorbereitet.

Der "No Deal"-Brexit ist nicht vom Tisch

Gestern Abend veröffentlichte die Regierung die Zusammenfassung einer Studie zu den möglichen Konsequenzen eines sogenannten No Deals. Die Folgen wären katastrophal. Auch deshalb hatten Regierungsmitglieder May in den letzten Tagen offen mit Rücktritt gedroht, sollte sie diese Variante des Brexit nicht klar ausschließen.

Aber hat sie das gestern wirklich getan? Nein, hat sie nicht. Mays gestriges Manöver war nur ein taktisches. Es ging ihr wieder nur darum, die eigene Partei zusammenzuhalten, um ihren hoffnungslosen Deal noch einmal in zwei Wochen zu präsentieren. Am 12. März soll das Parlament nämlich zunächst wieder darüber abstimmen, als ob May mit diesem Deal nicht bereits krachend gescheitert sei. Erst danach dürfen die Abgeordneten über "No Deal" oder eine mögliche Verschiebung des Austrittsdatums abstimmen.

Neue Frist verlängert nur das Elend

Wenige Wochen vor dem 29. März dreht sich die Insel weiter um sich selbst. Denn es ist überhaupt nicht klar, ob Brüssel einer solchen Erweiterung dann noch zustimmt, selbst wenn May vom Parlament dazu gezwungen würde. Die EU hat wiederholt erklärt, man habe grundsätzlich Verständnis, sollte Großbritannien eine Verlängerung der selbst gesetzten Frist benötigen.

Aber Brüssel hat auch immer wieder betont: Dafür braucht es einen handfesten Grund. Und den gibt es nicht. Außer der Tatsache, dass May mit dieser Strategie weiter versucht, ihre parteiinternen Gegner niederzuringen. Der "No Deal", das erklärte May gleich heute Morgen wieder, der bleibe für sie auch bei einer Verlängerung weiter auf dem Tisch.

Damit ist Mays Angebot nichts anderes als ein weiterer politischer Winkelzug, um ihr ewiges Mantra weiter am Leben zu erhalten: Mein Deal oder kein Deal. Die EU sollte deshalb dreimal nachdenken, bevor sie eine Verlängerung der Austrittsfrist weiter als mögliche Option am Horizont lässt. Denn eine solche Verlängerung wäre nichts anderes als eine Verschiebung des gegenwärtigen Elends auf unbestimmte Zeit.

Labour-Chef Jeremy Corbyn

Labour-Chef Jeremy Corbyn versucht ebenfalls, seine Partei vor der Implosion zu bewahren.

Auch Corbyn taktiert nur

Wenn der Aufschub des Austritts gar über den Juni hinausginge, würde Großbritannien dann auch noch an EU-Wahlen im Mai als vollberechtigtes Mitglied teilnehmen und neue EU-Abgegordnete stellen. Die Briten würden über Programm und Zusammensetzung der neuen EU-Kommission mitentscheiden, selbst über den Budgetrahmen der EU bis 2027, aus der sie austreten wollen.

All das kann in Brüssel eigentlich niemand wollen. Es sei denn, man hofft über diesen Weg noch immer auf eine Umkehr der Briten, auf ein zweites Referendum, das mit einem Votum für den Verbleib in der EU enden würde. Das hatte der Oppositionschef Jeremy Corbyn zwar Anfang dieser Woche offen angeboten, aber auch hier muss man zweimal hinschauen. Denn auch Labour taktiert aus parteiinternen Gründen.

Das Angebot eines zweiten Referendums soll die ebenfalls tief zerstrittene Oppositionspartei vor der Spaltung bewahren. Sollte es tatsächlich zur Abstimmung im Parlament kommen, dürfte ein Teil der Labour Abgeordneten dagegen halten und das ganze zu Fall bringen. Auch Corbyns Angebot also ist nichts weiter als ein erneuter taktischer Winkelzug, um seine Partei vor der Implosion zu bewahren.

Briten könnten wieder "leave" stimmen

Und selbst wenn es doch noch zu einem zweiten Referendum kommen sollte, ist es alles andere als sicher, dass das nicht wieder mit einem Votum für den Brexit endet. So düster und verworren ist die Stimmung im Land mittlerweile, dass viele Briten jetzt einfach nur noch "raus" wollen, egal wie, im Zweifelsfall auch mit einem harten Crash. Hauptsache, der Zirkus im Parlament hört irgendwie auf.

Die grundsätzliche Problematik, die ein einfaches Referendum bei derart komplizierten politischen Fragen birgt, würde damit auch im zweiten Durchgang akut bleiben. Die Briten könnten noch einmal für ihre politische Isolierung und gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen stimmen. Einfach aus Trotz und Überdruss.

So sehr sich alle hier und jenseits des Kanals wünschen mögen, dass das Herumirren im Brexit-Labyrinth einfach irgendwie aufhören möge, den Briten ist derzeit dabei von außen nicht zu helfen. Und die EU sollte tunlichst aufpassen, sich nicht in das sich immer unentwirrbarere Chaos hineinziehen zu lassen.

May hat sich und ihre Nation durch ihre Sturheit in eine fast ausweglose Situation manövriert. Den Weg hinaus aus diesem Dilemma müssen die Briten selber finden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 26. Februar 2019 um 20:00 Uhr sowie die tagesschau am 27. Februar 2019 um 12:00 Uhr.