Politische Lage in Brasilien Nach Olympia ist vor der Amtsenthebung

Stand: 23.08.2016 05:19 Uhr

Das Olympia-Spektakel übertünchte nur kurz, dass Brasilien in einer beispiellosen Krise steckt. Die entmachtete Präsidentin Rousseff könnte ihr Amt schon sehr bald völlig verlieren - für sie käme ihr nicht weniger umstrittener Widersacher Temer.

Von Julio Segador, Buenos Aires

Auch das war Olympia in Rio de Janeiro. Immer wieder kam es am Rande der Spiele zu Demonstrationen für und gegen Dilma Rousseff. Keine großen Kundgebungen für oder gegen Brasiliens gewählte Präsidentin zwar - aber es wurde auch während des Sportereignisses klar: Brasilien ist polarisiert und durchlebt seine schwerste Regierungskrise seit dem Ende der Diktatur 1985.

"Wir haben erneut hohe Inflation, und sie wird tagtäglich größer. Die Industrialisierung ist fast komplett zum Erliegen gekommen. Und es gibt kaum Perspektiven", macht ein Rousseff-Gegner im Batman-Kostüm seinem Ärger bei einer Kundgebung Luft. Im Gegenteil, meint er: Die Arbeitslosigkeit wächst und wächst. Vor 20 Jahren habe es schon einmal eine Hyperinflation gegben: "Es hat uns viel Kraft gekostet, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das alles haben wir jetzt verspielt. Wir müssen wieder von neuem beginnen.“

Nur wenige Meter davon entfernt - auf dem Weg zur Beachvolleyball-Arena - beschimpft ein in den brasilianischen Farben gekleideter Fan die Demonstranten. Er findet klare Worte: “Was sich derzeit hier abspielt, ist nichts anderes als ein Putsch." Am besten wären Neuwahlen, findet er. Das Land sei geteilt: "Eine Hälfte ist gegen Dilma, die andere ist für sie. Mir geht es nur um die Demokratie, die muss verteidigt werden. Und Dilma Rousseff wurde schändlich abgesetzt, man hat sie rausgeworfen."

Temer will bald regulärer Präsident werden

Vermutlich nur kurz haben die Olympischen Spiele den Fokus von der Polit- und Wirtschaftskrise auf das Sportereignis gerichtet. Die Regierungskrise trifft Brasilien in den nächsten Tagen mit voller Wucht: Noch vor Beginn der Paralympischen Spiele am 7. September will Interimspräsident Michel Temer als regulärer Präsident sein Amt antreten.

Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Rousseffs Unterstützung im Senat, wo am Donnerstag der wohl letzte Akt im Amtsenthebungsverfahren beginnt, ist zuletzt eher gesunken. Ungeschickte Äußerungen haben ihr ohnehin schon angespanntes Verhältnis zur eigenen Partei noch weiter beschädigt. Auch ihr politischer Ziehvater Lula da Silva hat sie zuletzt öffentlich nicht mehr in Schutz genommen.

Kaum jemand rechnet noch damit, dass Rousseff als Präsidentin zurückkehrt. Viele in Brasilien wollen einen politischen Neustart. “Das Impeachment muss jetzt durchgezogen werden. Wir müssen dieses Kapitel endlich schließen, zur Normalität zurückkehren", sagt eine Rousseff-Gegnerin. "Wir brauchen einen Wechsel, und wir müssen vor allem versuchen, es besser zu machen. Wir brauchen jetzt einen Neubeginn.“

Noch vor dem 4. September dürfte das Amtsenthebungsverfahren - vermutlich erfolgreich - beendet sein. Dann will Temer als legitimer Präsident Brasilien beim G20-Gipfel in China vertreten. Dass er in der Bevölkerung so gut wie keinen Rückhalt genießt, scheint den 75-Jährigen nicht zu stören. Bei der Olympia-Eröffnungsfeier wurde er gnadenlos ausgepfiffen. Zur Schlussfeier war er gar nicht erst erschienen. Eine Tatsache, die er am Rande eines Pressetermins sarkastisch kommentiert hatte. Die Leute mögen sich ihre Pfiffe für die Eröffnung der Paralympischen Spiele aufheben, meinte Temer.

Nicht nur er rechnet offensichtlich fest damit, dass er nach dem Amtsenthebungsverfahren Brasiliens legitimer Präsident ist. Auch wenn er damit eher Pfiffe erntet.

Julio Segador, J. Segador, ARD Buenos Aires, 23.08.2016 03:03 Uhr

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 23. August 2016 um 06:14 Uhr im Deutschlandfunk.