Interview

Birma-Experte Will im Interview "Für einen Umsturz fehlen die politischen Strukturen"

Stand: 22.10.2015 10:51 Uhr

Seit Wochen gehen in Birma Mönche aus Protest gegen das Militärregime auf die Straße. Zu einem schnellen Umsturz werde das nicht führen, meint Gerhard Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Regime und Opposition müssten auf Dialog setzen, so der Birma-Experte im Gespräch mit tagesschau.de.

Seit Wochen gehen in Birma Mönche aus Protest gegen das Militärregime auf die Straße. Zu einem schnellen Umsturz werde das nicht führen, meint Gerhard Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Regime und Opposition müssten auf Dialog setzen, so der Birma-Experte.

tagesschau.de: Denken Sie, dass die aktuellen Proteste zu einem Umsturz führen werden?

Will: Sicher nicht. Es gibt zwei Szenarien: Die eine ist die gewaltsame Niederschlagung der Proteste durch die Macht des regierenden Militärs. Das wäre sicherlich die schlechtere Option. Das andere Szenario ist der Dialog. Dieser wird bei den Protesten auf der Straße gefordert. Die Demonstranten wollen von der Regierung als gleichberechtigte Partner anerkannt werden. Und nur auf dem Wege eines solchen Dialoges wäre ein allmählicher Machtwechsel vorstellbar. Aber für einen schnellen Umsturz gibt es in der Opposition nicht die politischen Strukturen, um die Macht übernehmen könnten.

"Regime nicht auf Dialog vorbereitet"

tagesschau.de: Wieso hat das Regime es so weit kommen lassen?

Will: Das Regime ist durch die Entwicklung überrascht worden und kam deshalb auch nicht auf die Option der Gewalt, die es 1988 gewählt hatte [Anm. d. Red.: Damals hatte das Militär eine Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen]. Aber es ist eben auch nicht auf den Dialog und damit auf die Anerkennung der Opposition als gleichberechtigten Partner vorbereitet. Ich sehe darin eine gewisse Hilflosigkeit. Das Regime weiß nicht genau, wie es reagieren soll.

tagesschau.de: Heißt das, die Militär-Junta will die Situation aussitzen?

Zur Person

Dr. Gerhard Will arbeitet seit 2001 als Südostasien-Experte für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der Forschungsschwerpunkt des Politologen liegt auf Chinas Politik gegenüber Südostasien sowie Birmas innenpolitische Konflikte und deren außenpolitische Verflechtungen.

Will: Ja, ich denke, die Junta will erst einmal versuchen, die Sache auszusitzen. Sie wird versuchen, die Lage mit den Maßnahmen in den Griff zu bekommen, die sie bisher zur Stabilisierung des Regimes angewandt hat - also mit der Verhaftung Einzelner. Sie wird nicht gewaltsam in die Demonstrationen eingreifen, aber die Leute filmen und die führend Beteiligten hinterher verhaften. Das wird aber nicht funktionieren. Sie muss den Dialog suchen.

tagesschau.de: China - der größte Unterstützer des Regimes - ist gegen ein gewaltsames Einschreiten aus Angst vor einem Imageschaden. Ist das ein Wechsel in der chinesischen Außenpolitik?

Will: Die Volksrepublik China ist einerseits daran interessiert, Birma als Bundesgenossen zu haben. Auf der anderen Seite sieht China auch, dass in Birma eine Politik betrieben wird, die früher oder später zu großer Instabilität führen wird. Und daran ist China in seiner Nachbarschaft nicht interessiert.

tagesschau.de: Was wird China dem Regime in Birma raten?

Will: China rät zum Dialog. Das haben Sprecher der VR China unverblümt zu verstehen gegeben.

tagesschau.de: Was kann die internationale Gemeinschaft beitragen?

Will: Die internationale Gemeinschaft sollte auf beiden Seiten mäßigend einwirken. Sie muss beide überzeugen, dass die Strategie des Dialogs die beste ist, um eine Zukunftsperspektive für das Land zu entwickeln. Alle Forderungen nach der sofortigen Abschaffung der Militärdiktatur leuchten uns im Westen zwar unmittelbar ein, führen politisch aber nicht weiter.

Die Fragen stellte Anja Mößner, tagesschau.de