Joe Biden
Analyse

Biden zur Lage der Nation Starker Auftritt in schwierigen Zeiten

Stand: 02.03.2022 08:27 Uhr

Bidens Umfragewerte sind schlecht wie nie, seine Reformagenda steckt fest, die Inflation bereitet Sorgen - schlechte Vorzeichen für seine erste Rede zur Lage der Nation. Doch der Ukraine-Krieg einte Demokraten und Republikaner.

Joe Biden hatte sich gut vorbereitet. 15 Minuten seiner einstündigen Rede widmete er der Ukraine, der Rest war Innenpolitik. Mit seinem kämpferischen, aggressiven Ton gegenüber Präsident Wladimir Putin und seiner demonstrativen Solidarität mit der Ukraine schaffte er es, den Kongress in eine euphorische Stimmung zu bringen, bevor er sich den schwierigen Themen der Innenpolitik zuwandte.

Ganz offenbar genoss Biden auch das Bad in der Politik, das Rede-Antwort-Spiel mit den Freunden und Gegnern. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ein politisches Ereignis ohne Maskenpflicht, das fühlte sich offenbar für alle befreiend an.

Parteiübergreifender Applaus - das ist etwas Besonderes

Viele Abgeordnete und Senatoren trugen irgendetwas Blau-Gelbes: Aufkleber, Einstecktücher, Schals. Die Unterstützung für die kämpfenden Ukrainer ist etwas, das die tief entfremdeten Demokraten und Republikaner für den Moment zumindest eint. Frenetischer, stehender Applaus für den Präsidenten, parteiübergreifend? Das war etwas Besonderes.

Biden kündigte an, dass nun auch der Luftraum über den USA für russische Flugzeuge gesperrt ist. Putin beschrieb er als isolierten Diktator, der sich schwer verkalkuliert habe, der vielleicht Geländegewinn auf dem Schlachtfeld mache, aber langfristig einen hohen Preis zahlen werde.

Für die Ukrainer soll es eine Milliarde Dollar an Direkthilfe geben, aber: Einen Militäreinsatz schließt Biden weiterhin aus. US-Truppen werden nur zum Einsatz kommen, wenn NATO-Verbündete angegriffen werden. Dann aber würden die Amerikaner um jeden Zentimeter kämpfen.

US-Präsident Biden betont Solidarität mit Ukraine in erster Rede zur Lage der Nation

Jessica Briegmann, ARD Washington, tagesschau 12:00 Uhr

America first – auf Bidens Art

Das war ein wirklich ungewohnter Moment, als im Kongress plötzlich "USA, USA!"-Rufe ausbrachen, eigentlich charakteristisch für Ex-Präsident Donald Trumps Wahlkampf-Rally. Aber Biden hatte ein paar Knöpfe gedrückt, die die Patrioten zum Jubel brachten: Er versprach, dass es öffentliche Gelder nur noch für amerikanische Produkte geben werde, er will ausländische Firmen verfolgen, die sich an Amerika bereichern, er will Autos und Halbleiter in den USA herstellen und sich vom Ausland unabhängig machen.

Das alles hätte man tatsächlich so auch bei Trump hören können. Biden allerdings setzte sein Amerika-Pathos ein, um seine Landsleute zu einen, nicht zu spalten. Gegen Ende der Rede drehte er noch einmal richtig auf: Die USA als einzige Nation der Welt, die noch jede Krise in eine Chance verwandelt habe.

Was den Amerikanern wirklich Sorgen macht: die Inflation

7,5 Prozent Inflation liegen den Amerikanerinnen und Amerikanern schwer auf der Seele. Mieten, Häuser, Lebensmittel, Benzin. Alles ist teurer geworden - und das lasten sie Biden an.

Der Präsident kündigte an, die Kosten zu senken: niedrigere Preise für verschreibungspflichtige Medikamente, niedrigere Energiekosten für Familien, bezahlbare Kinderbetreuung, Gratis-Kita für Drei- und Vierjährige.

Dazu braucht er allerdings Mehrheiten, die er nicht hat. Bidens Rede war deshalb voller Appelle an den Kongress: Macht den Weg für wichtige Projekte frei! Einen höheren Mindestlohn, bezahlte Elternzeit, Background Checks für Waffenkäufer…

Worüber Biden nicht gesprochen hat

Die Republikaner, aber auch viele Demokraten glauben, dass die USA dringend ihre Öl- und Gasproduktion ankurbeln müssen: zum einen, um die USA unabhängig von russischem Öl zu machen, zum anderen, um den europäischen Partnern zu helfen. "Wir kaufen jeden Tag 650.000 Barrel Öl von den Russen", sagte der demokratische Senator Joe Manchin Anfang der Woche. Das sei lächerlich.

Biden ließ dieses Thema komplett aus. Er kündigte an, Ölreserven freizugeben, mehr nicht. Offenbar will er sich seine Klimapolitik nicht von dieser Krise kaputtmachen lassen.

Was Biden auch ausließ: den chaotischen Abzug aus Afghanistan, die Lüge von der gestohlenen Wahl und das verlorene Vertrauen in die amerikanische Demokratie. Und der Name Trump fiel natürlich auch nicht.

Katrin Brand, Katrin Brand, ARD Washington, 02.03.2022 07:50 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 02. März 2022 um 14:00 Uhr.