Kristina Timanowskaja

Belarusische Sportler Wettkampf unter politischem Druck?

Stand: 02.08.2021 11:44 Uhr

Die belarusische Athletin Timanowskaja stellt sich gegen die Entscheidung ihres Olympia-Nationalkomitees und will um Asyl bitten, weil sie die Heimreise fürchtet. Wie groß ist der Druck auf Sportler im Land?

Ein dramatisches Video der belarusischen Leichtathletin Kristina Timanowskaja, die heute bei den Sommerspielen in Tokio starten sollte, beschäftigt nun das Internationale Olympische Komitee und das UNHCR: "Ich bitte das IOC um Hilfe", sagt sie darin. "Auf mich wurde Druck ausgeübt und man versucht, mich gegen meinen Willen außer Landes zu bringen. Deshalb bitte ich das IOC sich einzumischen."

Diese Botschaft der Sportlerin veröffentlichte eine oppositionelle Aktivistengruppe aus Belarus, die "Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF)". Sie wurde 2020 von der Schwimm-Olympionikin Alexandra Gerasimenja gegründet, die sich während der Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko gestellt hatte - und seit Oktober 2020 von Litauens Hauptstadt Vilnius aus Strukturen für oppositionelle Sportlerinnen und Sportler aufbaut. Der BSSF zufolge wurde Timanowskaja am Sonntag von Betreuern zum Flughafen in Tokio gebracht. Dort habe die japanische Polizei interveniert und ihre Ausreise vorerst verhindert. Timanowskaja verbrachte die Nacht in der Obhut des IOC und möchte nun in einem EU-Staat um Asyl bitten - inzwischen hat sie die polnische Botschaft aufgesucht.

Unklar ist, welche Form von "Druck" Timanowskaja gespürt haben will: Durch politische Äußerungen war sie in der Vergangenheit nicht aufgefallen, hatte in Tokio stolz die grün-rote Staatsflagge geschwenkt.

Verwerfungen nach einem Instagram-Post

Bekannt ist: Das Belarusische Olympische Komitee hatte am Sonntag mitgeteilt, die 24-jährige Athletin werde nach Entscheidung der Ärzte aufgrund ihres "emotional-psychischen Zustands" nicht mehr bei den Spielen in Tokio antreten. Ihr Antrag auf die Teilnahme am Qualifikationslauf für 200 Meter Sprint und die 4 x 400 Meter-Staffel sei zurückgezogen. "Das ist eine Lüge", schrieb Timanowskaja dazu auf Instagram.

Zuvor hatte ein inzwischen gelöschter Story-Beitrag der 24-Jährigen Verwerfungen ausgelöst. Darin beschwert sie sich über Sportfunktionäre ihres Landes: "Unsere tolle Führung hat wie immer alles für uns entschieden. Sie haben Fehler mit den Mädels gemacht, denen genug Tests fehlen, um an den ersten Olympischen Spielen ihres Lebens teilnehmen zu dürfen", sagt sie. "Nun haben sie sich schlau gemacht und entschieden, mich für die Staffel aufzustellen. Klasse, Jungs! Super! Wieso sollen wir für eure Fehler zur Rechenschaft gezogen werden?"

Strafmaßnahmen des IOC gegen Belarus

Das IOC hat im Dezember 2020 Sanktionen gegen das Belarusische Olympische Komitee erlassen, weil es "die belarusischen Athleten nicht angemessen vor politischer Diskriminierung geschützt" habe. Staatschef Alexander Lukaschenko gab seinen Posten als belarusischer NOK-Vorsitzender ab - an seinen Sohn Viktor, den das IOC allerdings nicht anerkannte.
Die finanziellen Zuwendungen an das belarusische NOK wurden ausgesetzt, nur noch für Athletinnen und Athleten, die an den Sommerspielen in Tokio teilnehmen, werden Mittel bereitgestellt. Auch IOC-Veranstaltungen in Belarus stehen vorerst nicht zur Debatte.

Für ihre heftigen Worte wurde die Sportlerin in belarusischen Staatsmedien kritisiert: "Gewisse Olympia-Teilnehmerinnen haben sich als nicht allzu nervenstark erwiesen und schon vor dem Start emotional versagt", sagte etwa eine Moderatorin des Senders ONT. Timanowskaja sagte dem unabhängigen Sender Euroradio, man habe sie in Tokio aufgefordert, ihre Sachen zu packen und nach Hause zu fliegen. Auf die Frage, ob sie Angst vor einer Rückkehr nach Belarus habe, antwortete sie mit Ja.

Oppositionelle sprechen von "Kidnapping"

Zahlreiche Oppositionelle griffen die Nachricht sofort auf und setzten sich in sozialen Netzwerken für die Sportlerin ein, sprachen von "Kidnapping" und einer drohenden "Verschleppung" Timanowskajas. Auch die Präsidentschafts-Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaja, die im Ausland für die belarusische Opposition eintritt, kündigte an, sich dafür einzusetzen, dass die am "Entführungsversuch" Timanowskajas Beteiligten auf Sanktionslisten gesetzt würden. Via BSSF erklärte Timanowskaja, sie mache sich keine Sorgen um ihre Zukunft im belarusischen Sport, sondern um ihre Sicherheit im Land - ohne konkret zu benennen, wovor sie sich fürchtet.

Von Staatsmedien hart kritisiert

In der Vergangenheit waren Sportlerinnen und Sportler, die sich explizit gegen das Regime aussprachen, von Staatsmedien hart kritisiert und von der Führungsriege ihrer Sportart "kaltgestellt" worden. Die Ski-Freestyle-Weltmeisterin Alexandra Romanowskaja etwa wurde aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen, ebenso erging es Leichtathlet Andrej Krawtschenko.

Gegen BSSF-Gründerin Gerasimenja und Ex-Handballer Alexander Apeikin, den Direktor der Organisation, leitete die belarusische Justiz ein Verfahren ein: Beide hätten absichtlich falsche Informationen über den Verlauf und die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl verbreitet und Sportlerinnen und Sportler finanziell und rechtlich unterstützt, die "für die Verletzung der Gesetze der Republik Belarus zur Rechenschaft gezogen wurden". Gemeint ist wohl unter anderem die Teilnahme an Protesten.

Einige Athleten haben sich daher bereits ins Ausland abgesetzt, doch auch dort sind sie vor dem Zugriff des belarusischen Staats nicht immer sicher. Der belarusische Kickboxer Alexej Kudin, der bei einer Demonstration in ein Handgemenge geraten war und scharfe Kommentare gegen das Regime machte, setzte sich im Herbst 2020 nach Russland ab - weil die belarusische Justiz ihm vorwirft, einem Sicherheitsbeamten den Kiefer gebrochen zu haben. Kürzlich wurde er nach Belarus ausgeliefert. Nun drohen ihm fünf Jahre Haft.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 01. August 2021 um 19:11 Uhr.