Annalena Baerbock und Ilia Darchiashvili, Außenminister von Georgien, geben eine Pressekonferenz.

Baerbock in Georgien Besuch bei einem komplizierten Partner

Stand: 25.03.2023 03:48 Uhr

Russlands Einfluss begrenzen und EU-Ambitionen stärken - diese Herausforderung dominierte die Reise von Außenministerin Baerbock nach Nordmazedonien und Georgien. Insbesondere die Lage beim russischen Nachbarn ist kompliziert.

Von Kai Küstner, ARD Berlin

Das Fernglas, das sich die deutsche Außenministerin an die Augen hält, hat durchaus seine Berechtigung: Annalena Baerbock steht im Norden Georgiens auf einem Hügel. Sie lässt sich von einem Experten der hier aktiven EU-Beobachter-Mission (EUMM) erklären, wo genau da unten im Tal jene Linie verläuft, die auch hier in dem Kaukasus-Staat einen russischen Landraub markiert.

Eine Linie, die mit bloßem Auge so nicht zu erkennen ist, die aber die Region Südossetien vom Rest des Landes abtrennt. Eine Region, die seit dem Krieg im Jahr 2008 russisch besetzt ist. Insofern ist der Blick durch das Fernglas für Baerbock auch ein Blick in die Vergangenheit. In eine Zeit, von der nicht wenige im Rückblick sagen: Schon damals hätte man die imperialistischen Ambitionen Putins - auch ohne Vergrößerungsglas - ahnen können. 

In jedem Fall ist die Fahrt der deutschen Außenministerin an diesen Ort, 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, ein hochsymbolischer Akt: Die Welt sieht, so das Signal, dass auch hier Moskau seinem Nachbarn keinen Frieden lässt. 

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht an der Verwaltungslinie zu Südossetien am Beobachtungspunkt Nummer 5 bei Odzisi mit Sebastian Hulde, einem EUMM-Mitabeiter.

Annalena Baerbock an der Verwaltungslinie zu Südossetien mit einem Mitabeiter der EU-Beobachter-Mission.

Moskau will Einfluss auf Georgien ausbauen

Für Georgien bedeutet die russische Kontrolle von Teilen seines Staatsgebiets und die Anwesenheit russischer Truppen: Eine NATO-Mitgliedschaft ist auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Und auch sonst sucht Moskau seinen Einfluss auf den Kaukasus-Nachbarn aufrecht zu erhalten, wenn nicht gar auszubauen.

Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind ohnehin stark: "Dass Ihr Euch vor diesem Hintergrund an die Seite der Ukraine stellt, zeigt klar und deutlich, welche Werte Ihr teilt. Auch damit unterstreicht Ihr, dass Euer Platz in der Europäischen Union ist." Dieses Lob spricht Baerbock an die Adresse ihres georgischen Amtskollegen Ilia Dartschiaschwili auf der gemeinsamen Pressekonferenz aus.

Ein EU-Beitritt ist das erklärte Ziel der Regierung in Tiflis. Gemeinsam mit der Ukraine und Moldau bewarb sich das Land 2022 für den offiziellen Beitrittskandidaten-Status. Anders als den anderen beiden Länder hat Brüssel Georgien diese Weihen jedoch noch nicht erteilt. Eben weil hier noch eine Reihe von Reformen aussteht. 

Medien, Justiz und Menschenrechte unter Druck

Dass die Regierung allerdings willens ist, diese auch wirklich umzusetzen, daran bekommt Zweifel, wer sich mit der georgischen Zivilgesellschaft unterhält. Ein ebenso charmanter wie renovierungsbedürftig wirkender Altbau im Zentrum der Hauptstadt. An der Außenwand Graffiti. "Fuck Putin" steht auf einem von ihnen. Hier trifft sich Baerbock mit vier Vertreterinnen, die für die Demokratisierung des Landes kämpfen.

Sie schildern der Ministerin eindringlich, wie die Regierung sie unter Druck setze, im Interesse des eigenen Machterhalts den Spielraum für Medien, Justiz und Menschenrechtler zu beschneiden versuche. Bestes Beispiel: Ein Gesetz, mit dem die Regierung ausländische Medien und Organisationen als "Agenten" einstufen wollte. Da habe man sich einfach Moskau zum Vorbild genommen und "Copy&Paste" mit einem ähnlich gebauten russischen Gesetz gemacht, so beschreiben es die Frauen. Überhaupt: Dass sie die Regierung in Tiflis für Russland-freundlich halten, daran lässt niemand hier einen Zweifel. 

Zwar zog die Regierungspartei den Gesetzentwurf nach heftigen Protesten Tausender, vor allem junger Menschen schließlich zurück. Doch es wird bezweifelt, dass dies der letzte Demokratie-Beschneidungs-Versuch dieser Art gewesen sein soll. 

Womit klar wäre: Die Dinge im russischen Nachbarland Georgien sind kompliziert. Eine mit überwältigender Mehrheit vom europäischen Kurs überzeugte Bevölkerung hat es mit einer Regierungspartei namens "Georgischer Traum" zu tun, die den Beweis erst noch erbringen muss, dass sie sich wirklich stramm auf EU-Kurs befindet. 

Für Europa steht einiges auf dem Spiel

"Es gibt Momente im Leben und in der Politik, wo man an Wegscheiden steht und wo es darauf ankommt, mutig in die richtige Richtung zu gehen." Diesen Satz sagte Baerbock an Tag Eins ihrer Reise - in Nordmazedonien. Sie formulierte das aber in Tiflis noch einmal ähnlich: Gemeint war er als Wink an beide Länder, über den eigenen innenpolitischen Schatten zu springen - und die Bedingungen der EU zu erfüllen.

Was den Weg Nordmazedoniens angeht, so hat der Balkanstaat seit fast zwei Jahrzehnten, - nämlich seit 2005 - das, was Georgien erst noch schaffen muss: Den Status des Beitrittskandidaten. Bedingung dafür, dass es weiter mutig vorangeht, ist in Nordmazedonien eine Verfassungsänderung zum Schutz der bulgarischen Minderheit im Land.

Gerät der EU-Prozess in beiden Fällen - im Kaukasus wie auf dem Balkan - wieder aus den Fugen, steht auch für Europa einiges auf dem Spiel: Das würde nämlich bedeuten, dass Russland in diesen Regionen seinen Einfluss dann umso ungehinderter ausbauen kann. In Zeiten des Systemkonflikts zwischen demokratischen und autoritären Staaten wäre das für den Westen und insbesondere die EU eine verheerende Nachricht.  

  

Kai Küstner, Kai Küstner, ARD Berlin, 25.03.2023 05:58 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 25. März 2023 um 06:20 Uhr.