EU-Assoziierungsabkommen Enger mit dem Westen verbunden

Stand: 27.06.2014 04:09 Uhr

Was der ukrainische Ex-Präsident Janukowitsch einst verweigerte, will sein Nachfolger Poroschenko heute nachholen: den zweiten Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU unterzeichnen. Auch die Ex-Sowjetrepubliken Moldawien und Georgien sollen so wirtschaftlich und politisch enger an den Westen gebunden werden. Russland drohte bereits mit Konsequenzen.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Wäre der Welt die Ukraine-Krise erspart geblieben, wenn nicht heute Präsident Petro Poroschenko das EU-Assoziierungsabkommen in Brüssel unterschreiben würde, sondern wenn sein Vorgänger Viktor Janukowitsch dies vor sieben Monaten beim EU-Nachbarschaftsgipfel in Vilnius getan hätte?

Eine These könnte lauten: Hätte Janukowitsch seine Unterschrift nicht verweigert, hätte sich ein anderer Anlass gefunden, weshalb die Menschen in der Ukraine gegen ihren Präsidenten aufgestanden wären. Denn der Unmut der Bürger hatte seinen Ursprung darin, dass sich Janukowitsch schamloser noch als andere Politiker vor ihm am Staatseinkommen bediente, dies auch noch auf Kosten anderer Oligarchen.

Angesichts der innenpolitischen Verwerfungen in der Ukraine hätte sich für Russlands Präsident Wladimir Putin ein anderer Zeitpunkt finden können, die Krim zu annektieren, um den Standort der Schwarzmeerflotte zu sichern und um sich einen Platz in der Geschichte zu verschaffen.

Früher oder später hätte es auch zu den offenen Spannungen zwischen der EU und den USA einerseits und Russland andererseits kommen können. Denn zwischen beiden Seiten baute sich in den vergangenen Jahren ein Dissens auf, der erst im Nachhinein in Gänze offenbar wird.

Während all der Annäherungsversuche seit Ende des Kalten Krieges fühlte sich Russland oft genug nicht ernst genommen in seinem Anspruch, in der Weltpolitik eine entscheidende Rolle zu spielen. Russland wiederum respektiert die Sicherheitsinteressen und die Souveränität seiner Nachbarstaaten nicht. Noch immer beansprucht es eine privilegierte Einflusszone im postsowjetischen Raum. An diesen widersprüchlichen Vorstellungen scheiterte schließlich auch der Vorschlag Russlands einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur von Wladiwostok bis Lissabon. Spätestens da gab es die russische Führung auf, eine Einbindung in die euro-atlantischen Strukturen anzustreben.

Der dekadente Westen

Auch nicht erst seit seiner Rückkehr in den Kreml 2012 fördert Putin erzkonservative, traditionalistische und nationalistische Stimmen in der russischen Gesellschaft. So kann er von den Demokratisierungs- und Modernisierungsdefiziten im eigenen Land ablenken und den Liberalismus im Westen zugleich als abgewirtschaftet, dekadent und schwächlich brandmarken.

Würden sich jedoch weitere Ex-Sowjetrepubliken der EU annähern und sich wie die baltischen Staaten oder Polen entwickeln, geriete Putin in Erklärungsnot. Auch würde es sehr viel schwerer für die russische Führung, weiter Einfluss auszuüben.

Die EU-Assoziierungsabkommen für die Ukraine, Moldawien und Georgien können im besten Fall dazu beitragen, Wirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit zu stärken. All dies würde diese Staaten weniger verletzlich und abhängig von Russland machen. Damit ist die EU für Putin in Osteuropa letztlich problematischer als die NATO. Denn Putin weiß genau, dass der Westen jede direkte militärische Konfrontation mit Russland meiden will.

Auch die russische Führung will ganz offenbar diese rote Linie nicht überschreiten. So schickte sie keine offiziellen russischen Truppen, um die Krim einzunehmen. Sie nutzte stattdessen die innenpolitischen Spannungen und die Schwäche des Staates auf der Krim, um zunächst mit Propaganda und dann mit separatistisch ausgerichteten Politikern und Selbstverteidigungskräften in grünen Uniformen den Weg für eine Annexion zu ebnen.

Sollte es der EU mit der nun geplanten Rechtsstaatsmission tatsächlich gelingen, Justiz, Polizei, Geheimdienste und Sicherheitskräfte zu reformieren, könnte sich die Ukraine sehr viel besser als bislang vor Einflussnahme von außen wappnen. Dies aber nur, wenn auch die Spannungen zwischen Ost- und Westukraine gelöst würden und sich die wirtschaftliche Lage des Landes besserte.

Offene Flanke in der Innenpolitik

Georgien ist im Vergleich zur Ukraine und Moldawien wirtschaftlich weniger abhängig von Russland. Doch bleibt die Südkaukasusrepublik verletzlich. Dies liegt nicht allein an den beiden von russischen Truppen besetzten abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien. Trotz Spannungen in beiden Gebieten kommt es dort derzeit nicht zu Provokationen mit den Georgiern.

Doch bietet die wirtschaftliche und innenpolitische Situation Georgiens offene Flanken. Denn der neoliberale Modernisierungskurs unter Präsident Michail Saakaschwili brachte zwar eine moderne Infrastruktur, löste aber nicht die sozialen Probleme. Die seit 2012 amtierende Regierungskoalition "Georgischer Traum" kommt nicht schnell genug damit voran, die hohe Arbeitslosigkeit sowie die Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite zu verringern.

Längst macht sich Ernüchterung breit, nicht nur über die eigenen Politiker, sondern auch über die EU. Zugleich schüren die orthodoxe Kirche als mächtigste Institution des Landes und einige Politiker Stimmung gegen ethnische und sexuelle Minderheiten. Seit einigen Monaten tauchen immer wieder einmal pro-russische Gruppen auf, die für die Eurasische Union werben und gegen die EU und die NATO agitieren. Ein georgischer Sozialwissenschaftler sagte im Gespräch mit tagesschau.de, mit einem Fernsehsender und der richtigen Strategie könne man seiner Meinung nach die Stimmung im Land innerhalb von drei Monaten pro Russland wenden.

Die Implementierungsphase der EU-Assoziierungsabkommen zusammen mit von der EU bereitgestellten Geldern gibt den drei Staaten die Möglichkeit, postsowjetische Probleme wie Korruption, Oligarchentum und schwache Rechtsstaatlichkeit verstärkt anzugehen. Letztlich liegt es an den Bürgern und den verantwortlichen Politikern in den drei Ex-Sowjetrepubliken, ob ihre Staaten verletzlich für äußere Einflussnahme bleiben oder an Souveränität gewinnen. Letzteres könnte sich als aussichtsreicher als das Streben nach einer NATO-Mitgliedschaft herausstellen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. Juni 2014 um 16:00 Uhr.