Die türkische Ärztin und Menschenrechtlerin Sebnem Korur Fincanci während einer Protestaktion in Ankara, Türkei. | AP

Wegen "terroristischer Propaganda" Medizinerin zu Haftstrafe verurteilt

Stand: 11.01.2023 13:35 Uhr

Zwei Jahre und acht Monate Haft - so lautet das Urteil für die türkische Medizinerin Fincanci. Ihr wird "terroristische Propaganda" vorgeworfen. Fincanci hatte Untersuchungen zu chemischen Waffen des türkischen Militärs gefordert.

Die Präsidentin des türkischen Ärzteverbandes, Sebnem Korur Fincanci, ist zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Das hat ein Gericht in Istanbul entschieden. Ins Gefängnis muss die 63-jährige Menschenrechtsaktivistin aber nicht. Nach Abzug der Untersuchungshaft wurde die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Fincanci war in dem Verfahren vorgeworfen worden, Propaganda für eine terroristische Organisation gemacht zu haben. Ihre Anwälte beriefen sich auf Meinungsfreiheit.

Fincanci forderte Untersuchung zu Chemiewaffen

Fincanci saß seit dem 27. Oktober in Untersuchungshaft. Die renommierte Rechtsmedizinerin hatte in einem Interview mit dem Sender "Medya Haber" eine unabhängige Untersuchung der unbestätigten Vorwürfe gefordert, dass das türkische Militär Chemiewaffen im Kampf gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak einsetzt. Die türkische Regierung hat die Vorwürfe zurückgewiesen.

Pro-kurdische Medien und Oppositionsvertreter hatten die türkische Armee zuvor beschuldigt, chemische Waffen eingesetzt zu haben. Die PKK gab an, dass bei einem solchen Angriff 17 ihrer Kämpfer in den Bergen des Nordiraks getötet worden seien. Seit 1984 führt die PKK einen bewaffneten Aufstand gegen den türkischen Staat. Die Gruppe wird in der Türkei, in Europa und in den Vereinigten Staaten als terroristische Organisation eingestuft.

Erdogan wirft Fincanci "Sprache des Terrorismus" vor

Der türkische Verteidigungsminister nannte die Anschuldigungen "Verleumdung". Staatschef Recep Tayyip Erdogan warf der Ärztin vor, "die Sprache des Terrorismus" zu sprechen. Er kündigte Maßnahmen an, um die türkische Ärztekammer und andere Berufsverbände von mutmaßlichen Unterstützern der PKK zu befreien.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sah das Verfahren gegen Fincanci als politisch motiviert an. Der Weltärztebund bezeichnete den Prozess als unbegründet, unrechtmäßig und inakzeptabel. Auch die deutsche Bundesärztekammer setzte sich für eine Freilassung von Fincanci ein. Als Gerichtsmedizinerin hat Fincanci jahrelang Fälle von Misshandlungen und Folter dokumentiert. 2018 wurde sie mit dem hessischen Friedenspreis ausgezeichnet.

Mit Informationen von Uwe Lueb, ARD-Studio Istanbul

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. Januar 2023 um 12:00 Uhr.