In einem Flüchtlingslager im Bekaa-Tal (Libanon) tragen Menschen Wasserkanister

Syrische Flüchtlinge "Assad wählen? Ich bin doch nicht verrückt!"

Stand: 26.05.2021 11:30 Uhr

In Syrien herrscht Wahlpflicht, und das bringt Flüchtlinge im benachbarten Libanon in einen Konflikt. Wenn sie wählen, landen sie in den Unterlagen des Geheimdienstes. Wenn sie nicht wählen, machen sie sich strafbar.

Was sich an diesem Abend auf Beiruts Prachtpromenande, der Corniche, abspielt, entspricht vielleicht nicht ganz dem gängigen Bild vom Flüchtlingsalltag. Zwei Dutzend Syrer fassen sich an den Schultern, stellen sich im Kreis auf und beginnen zu tanzen. Abendlicht liegt über der Stadt, vom Meer her weht eine Brise. Vielleicht ist es diese Stimmung, die die jungen Männer mit einem Mal abheben lässt - der Sonnenuntergang, der Abendwind und vielleicht auch das Wissen darum, dass Krisen und Katastrophen genauso zu Beirut gehören wie Lebensfreude und Durchhaltewillen

Stundenlang geht das so. Aber die Leichtigkeit wird später wieder verfliegen, wenn sie zurückkommen in ihre Lager und die Baracken und Zelte, in denen die meisten dieser Flüchtlinge hausen. Geschätzt 1,5 Millionen haben sich über zehn syrische Kriegsjahre hinweg im Libanon angesammelt. Es sei an der Zeit, zurück in die Heimat zu kommen, erklärte Machthaber Baschar al-Assad schon mehrmals. 2018, 2019, auch jetzt wieder, wo er sich zum vierten Mal ins Präsidentenamt wählen lässt. Flüchtlinge im Ausland sollen ihre Stimmen abgeben dürfen.

Ein Paar geht auf dem Corniche in Beirut im Abendlicht spazieren

Der Corniche in Beirut lässt vieles für einen Moment vergessen - auch die Not in den Flüchtlingslagern.

Wählen oder fernbleiben?

Er denke nicht mal daran, das zu tun, sagt Kamal. Wählen, zurückgehen - er sei doch nicht verrückt. Sobald er nach Syrien gehe, werde ihn die Armee einziehen. Im Libanon bliebe er wenigstens in Sicherheit, nicht im Krieg, wie in Syrien.

Wobei - das Regime hat dank russischer und iranischer Hilfe inzwischen zwei Drittel des Landes wieder unter seiner Kontrolle. Es gibt nur noch wenige Kampfzonen, aber noch längst keinen Frieden. 500.000 Syrer sind tot, Städte wie Homs und Aleppo verwüstet. Assad hat es geschafft, sich all seinen Gegnern zum Trotz zu behaupten. Er ist immer noch da und manche Flüchtlinge sind mittlerweile so weit, ihn als Faktum zu akzeptieren.

Er sei ja nicht an allem schuld, sagt einer von denen, die eben noch tanzten. "Auch seine Gegner haben vieles zerstört. Assad ist nur ein Teil des Problems. Ich werde jedenfalls auf die Botschaft gehen und Assad wählen - immer noch besser ihn als andere."

In der Botschaft sitzt der Geheimdienst

Die syrische Botschaft in Beirut sei de facto eine Zweigstelle von Assads Geheimdienst, sagt der Nahost-Analyst Siad Aitani. "Es geht nicht um Diplomatie. Ich würde keinem Syrer hier empfehlen, auf die Botschaft zu gehen, um zu wählen."

Syrische Bürgerinnen und Bürger unterliegen der Wahlpflicht. Wer als Flüchtling zur Botschaft geht, um ihr nachzukommen, landet mit Sicherheit in der Geheimdienstregistratur. Wer aber nicht wählen geht, hat sich im Fall einer Rückkehr nach Syrien strafbar gemacht.

"Wir haben festgestellt, dass die Botschaft massiven Druck auf syrische Flüchtlinge ausübt, vor allem in der Bekaa-Ebene", sagt Aitani. Sie würden dazu gedrängt, für das Regime zu stimmen und zurück nach Syrien zu gehen. Dabei werde die syrische Botschaft von den libanesischen Behörden auch noch unterstützt, weil man im Libanon die Flüchtlinge endlich loswerden wolle. "Diese Wahlen bringen die Leute in große Schwierigkeiten."

Stimmung dreht sich gegen Flüchtlinge

Der Libanon, dieses kleine Land eingeklemmt zwischen Syrien und Israel, taumelt gerade dem Abgrund entgegen. 2020 war für die Libanesen das Jahr der noch längst nicht ausgestandenen Katastrophen. Das Finanzsystem kollabierte. Corona brach aus, die Explosion am Hafen verwüstete weite Teile der Innenstadt. 2021 droht der Libanon zusammenzubrechen. Die eineinhalb Millionen Flüchtlinge aus Syrien werden jetzt nur noch als zusätzliche Last wahrgenommen.

In der hochgelegenen Bekaa-Ebene herrscht ein anderer Wind als an Beiruts Corniche, in den Flüchtlingscamps wirbelt der Staub auf und zerrt an den Zeltplanen. Wer hier lebt, hat sich eingerichtet in seinem provisorischen Dasein, hat in seiner Behausung Trennwände aus Holz eingezogen, den Boden isoliert, eine gebrauchte Polstergarnitur oder einen Flachbildschirm angeschafft. Nagib, seit acht Jahren hier, weiß, dass es für ihn und die Familie sobald kein Zurück gibt.

"Wozu soll ich zurückgehen", fragt er, "um mein zerstörtes Haus zu sehen oder mein niedergebranntes Dorf? Die, die zurückgingen, kamen alle wieder und sagten: 'In Syrien kannst du nicht mehr leben.' Ich würde erst zurückgehen, wenn sich die Dinge von Grund auf verändern."

Im Bekaa-Tal (Libanon) fahren Flüchtlinge aus Syrien auf einem Motorroller durch eine Flüchtlingslager

Schon lange kein Provisorium mehr: Die Flüchtlinge im Bekaa-Tal werden wohl noch lange in ihren Lagen bleiben.

Eine andere Wirklichkeit

Es sieht nicht danach aus. Assad wird sich wie üblich mit weit über 90 Prozent als syrischer Präsident bestätigen lassen. Er wird behaupten, das syrische Volk habe entschieden, und er wird Glückwünsche aus Moskau und Teheran dafür bekommen. Nagib aber geht das längst nichts mehr an.

"Ich war Bauer", sagt er. "Wir haben zu Hause ein gutes Stück Land bebaut. Wir hatten Olivenbäume, pflanzten Auberginen, Tomaten, Kartoffeln. Wir hatten Kühe und Schafe, einfach alles, um gut zu leben. Nichts ist mehr da, nichts."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. Mai 2021 um 07:48 Uhr.