Krankenhaus Bab al-Hawa in der Nähe der türkischen Grenze

Katastrophengebiet Warum kaum Hilfe nach Syrien gelangt

Stand: 08.02.2023 21:24 Uhr

Die Rettungsarbeiten im syrischen Teil des Katastrophengebiets kommen kaum voran. Unter anderem, weil Hilfslieferungen nur über einen einzigen Grenzübergang in die Rebellengebiete kommen. Sanktionen könnten die Hilfe zusätzlich behindern.

Die UN hat Syriens Regierung aufgerufen, Helfern Zugang zu den von Rebellen kontrollierten Erdbebengebieten im Nordwesten des Landes zu ermöglichen. In Syrien ist das Katastrophengebiet in von Damaskus kontrollierte Gebiete und Territorien unter der Kontrolle von Rebellen geteilt.

"Lassen Sie die Politik beiseite und lassen Sie uns unserer humanitäre Arbeit tun", appellierte der UN-Hilfskoordinator für Syrien, El-Mostafa Benlamlih, in einem Interview der Nachrichtenagentur AFP an die Regierung von Machthaber Baschar al-Assad. "Wir können es uns nicht leisten, zu warten und zu verhandeln", warnte Benlamlih. "Bis wir verhandeln ist es vorbei, ist es erledigt." Aus Syrien wurden zuletzt 2662 Tote gemeldet.

In vielen Gebieten Syriens ist noch keine Hilfeleistungen nach Erdbeben eingetroffen

Ramin Sina, ARD Kairo, tagesthemen, tagesthemen, 08.02.2023 22:30 Uhr

Tausende Menschen in Syrien vermisst

In Syrien herrscht seit 2011 Bürgerkrieg. Die Regierung von Assad beherrscht inzwischen wieder rund zwei Drittel des zersplitterten Landes. Hilfsgüter, die über die Hauptstadt Damaskus ins Land kommen, werden von Assads Regierung verteilt. Immer wieder gibt es Berichte, dass sich die Regierung daran selbst bereichert und Gebiete übergeht, die sie als verfeindet betrachtet. Allein in dem Bürgerkriegsland werden noch Tausende Menschen vermisst. Es fehlt Ausrüstung, um Trümmer zu beseitigen.

Vor allem im Norden Syriens ist die Lage unübersichtlich. So ist der Grenzübergang Bab al-Hawa der letzte von einst vier Grenzübergängen, über den Hilfen auch in die Teile Syriens gelangen können, die nicht von der Regierung kontrolliert werden.

In Bab al-Hawa aber hatte eine beschädigte Straße die Lieferung humanitärer Hilfe verzögert. Die Fahrbahn ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile repariert. Die Organisation könne so die Opfer in Nordsyrien mit Notfallmaterial aus einem Lager in der Türkei versorgen, sagte der WHO-Vertreter in der Türkei, Batir Berdiklischew.

Karte von der Türkei und Syrien mit mehreren Erdbeben (Stand 6.2.23 12 Uhr)

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte gestern gefordert, alle Grenzübergänge zwischen der Türkei und Syrien zu öffnen, um dem Bürgerkriegsland humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.

Debatte um Rolle von Sanktionen

Unklar ist, wie hinderlich Sanktionen gegen das syrische Regime für Hilfslieferungen sind. Nach Darstellung von Malteser International können Hilfsorganisationen derzeit nicht direkt in Syrien einreisen. Die Arbeit müsse daher von der Türkei aus koordiniert werden. "Wir setzen die Hilfe für die Menschen im Nordwesten Syriens über langjährige lokale Partnerorganisationen um. Diese übernehmen die Verteilung der Hilfsgüter an die betroffenen Menschen", teilte Malteser-Nothilfeleiter Oliver Hochedez mit.

Die Bundesregierung erklärte indes, Hilfslieferungen für Syrien seien nicht durch Sanktionen beeinträchtigt. "Die EU-Sanktionen richten sich nicht gegen Menschen in Syrien, sondern gegen das Regime und seine Unterstützer, Profiteure der Kriegswirtschaft und Personen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben", erklärte eine Außenamtssprecherin in Berlin. Die Sanktionen verböten nur die Einfuhr weniger Güter. Lebensmittel, schweres Gerät für Bergungen und weitere humanitäre Hilfe seien ausgenommen.

Menschenrechtler: Bevölkerung wird kollektiv bestraft

Peter Fuchs, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI), hält die Sanktionen hingegen durchaus für problematisch. So seien Banküberweisungen nach Syrien und von Syrien unmöglich. "In Deutschland oder Kanada lebende Syrer können daher ihren durch das Erdbeben obdachlos gewordenen Verwandten in Aleppo, Hama oder Latakia kein Geld überweisen", gab der Pfarrer zu bedenken.

Kein syrisches Krankenhaus könne medizinische Geräte, Ersatzteile, Medikamente oder Generatoren im Ausland kaufen, wenn es diese nicht per Überweisung bezahlen könne. "Die syrische Bevölkerung wird durch das unmoralische Sanktionsregime von EU und USA seit Jahren kollektiv bestraft", kritisierte Fuchs.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte im Bundestag, Deutschland liefere Hilfsgüter in die Türkei und stehe in engem Kontakt mit den Vereinten Nationen, um humanitäre Hilfe auch in das syrische Erdbebengebiet zu bringen. Die Bundesregierung stocke ihre humanitäre Hilfe für Syrien und die Türkei um weitere 26 Millionen Euro auf. Davon sind nach Angaben des Auswärtigen Amts insgesamt 25 Millionen Euro für zwei Hilfsfonds der Vereinten Nationen vorgesehen sowie eine Million für den Malteser Hilfsdienst.

Auch Papst Franziskus ging besonders auf die Not in den syrischen Gebieten ein, "die teilweise schon von einem langen Krieg zermartert sind". Die dortige Bevölkerung benötige dringend Hilfe, betonte das Kirchenoberhaupt.

Der Botschafter des Papstes in Syrien, Kardinal Mario Zenari, reiste zur Koordinierung von Hilfsmaßnahmen nach Aleppo und soll dort noch am Abend mit katholischen Bischöfen und anschließend auch mit Kirchenführern anderer Konfessionen über die Lage nach dem Erdbeben und über Unterstützungsmöglichkeiten beraten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 08. Februar 2023 um 21:05 Uhr.