
Unruhen in Sri Lanka "Unser Land fällt weiter in den Abgrund"
Sri Lankas Demonstranten fordern den Rücktritt des Präsidenten Rajapaksa, der an seinem Posten festhält. Nun gibt es Vorwürfe, sein Bruder und andere Politiker hätten die Gewalttaten bei den Protesten orchestriert.
Soldaten auf gepanzerten Fahrzeugen fahren durch die leeren Straßen von Colombo. Die Ausgangssperre im Land ist um einen weiteren Tag verlängert worden. Dennoch stehen weiterhin Menschen an den Protestcamps, wie Kavindya. Sie hat der Nachrichtenagentur AP ein Interview gegeben und sagt: "Eine der wichtigsten Forderungen ist ja, dass der Präsident sein Amt niederlegen soll. Und bis das nicht geschieht, haben wir unseren Kampf hier noch nicht gewonnen, deswegen stehen wir noch hier und fordern seinen Rücktritt."
Seit Wochen demonstrieren die Menschen in Sri Lanka, weil es ihnen schlecht geht: Ihr Land ist nahezu bankrott, kann und will seine Schulden gerade nicht zahlen. Es gibt kaum noch Treibstoff, wenig Strom, nur selten Medikamente - und viele Menschen können sich nicht einmal mehr leisten, Lebensmittel einzukaufen, weil die extrem teuer geworden sind.
87 Prozent unzufrieden mit Präsident
Der Premierminister Mahinda Rajapaksa ist zurückgetreten, als Nachfolger wurde der fünfmalige ehemalige Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe vereidigt. Mahinda Rajapaksas Bruder Gotabaya, der aktuelle Präsident, ist noch an der Macht. Die Misere, so sehen es die meisten Menschen im Land, könne auch er nicht lösen.
Die Menschenrechtsanwältin Bhavani Fonseka arbeitet für das Center for Policy Alternatives, die unabhängige Organisation hatte erst kürzlich eine Umfrage im Land gestartet: "87 Prozent der Menschen wollen, dass unser Präsident sein Amt aufgibt", berichtet sie. "Das ist eine hohe Zahl, sogar viele seiner Anhänger wollen ihn nicht mehr. Und trotzdem hält er an seinem Amt fest. Damit fallen unser Land und unsere Menschen weiter in den Abgrund."

Selbst viele seiner Anhänger wollten Präsident Rajapaksa nicht mehr, sagt eine unabängige Umfrage.
Präsident Rajapaksa aber hat die Unterstützung der Armee. Er und sein Bruder haben vor mehr als zehn Jahren den Bürgerkrieg im Land auf sehr blutige Art und Weise beendet. General Gunaratne, ein hochrangiger Offizier beim Militär von Sri Lanka, bestätigte im Interview mit einem indischen TV-Sender noch einmal:
In unserer Verfassung steht es geschrieben: Jeder Präsident und auch ehemalige werden von uns beschützt bis zu ihrem Tod.
Schießbefehl besteht weiterhin
Das ist nun die große Sorge der Menschen, die gegen den Präsidenten demonstrieren, der schon in der Vergangenheit als Verteidigungsminister mit harter Hand regierte: dass die Armee, um den Präsidenten zu schützen, auf sie losgehen könnte. Einen Schießbefehl hat der Präsident den Sicherheitskräften schon erteilt.
Tote und Verletzte bei den Protesten aber, so sagen viele, habe es erst gegeben, als Regierungsanhänger mit Knüppeln auf die Demonstranten losgegangen seien. "Die Gewalt", sagt die Menschenrechtsanwältin Fonseka, "ging von der Residenz des Ministerpräsidenten aus. Es gibt Videoaufnahmen, die zeigen, dass der Premierminister, sein Sohn und auch andere Minister dort waren. Wir brauchen eine unabhängige Untersuchung darüber, ob das ehemalige Kabinett verantwortlich ist, diese Gewalt organisiert zu haben."
Die Wirtschaft von Sri Lanka werde endgültig zusammenbrechen, wenn nicht bald eine neue Regierung benannt werde, sagt der Chef der Zentralbank des Landes. Präsident Rajapaksa sagte gestern in einer Rede, er werde noch diese Wochen einen neuen Premierminister und ein neues Kabinett ernennen. Ob auch er zurücktrete will, erwähnte er nicht.