Gebäude der Menschenrechtsorganisation Memorial in Moskau

Russische Menschenrechtsorganisation Strafverfahren gegen Memorial-Mitglied

Stand: 21.03.2023 17:35 Uhr

Nach einer Razzia gegen die aufgelöste russische Menschenrechtsorganisation Memorial ist gegen ein führendes Mitglied ein Strafverfahren eingeleitet worden. Der Mann habe die russischen Streitkräfte in der Ukraine "diskreditiert", hieß es.

Die Behörden in Russland haben ein Strafverfahren gegen ein führendes Mitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial eingeleitet. In einer auf Telegram veröffentlichten Nachricht erklärte Memorial, Oleg Orlow werde wegen "öffentlicher Aktivitäten zur Diskreditierung" der russischen Streitkräfte in der Ukraine strafrechtlich verfolgt. Sollte er angeklagt werden, droht ihm eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren.

Zuvor hatte die Polizei Memorial zufolge bei mindestens neun ihrer Mitglieder oder deren Angehörigen Hausdurchsuchungen vorgenommen, darunter bei Orlow und dem Vorsitzenden der Organisation, Jan Ratschinski. Mehrere von ihnen seien anschließend auf eine Polizeiwache gebracht worden.

Moskau wirft Memorial Lügen vor

Dies geschah den Angaben zufolge im Zuge des Anfang März gegen Memorial eröffneten Verfahrens wegen "Rehabilitierung des Nationalsozialismus". Die russischen Behörden beschuldigen die Organisation demnach, in ihre Liste der Opfer sowjetischer Repressionen die Namen von drei Nazi-Kollaborateuren aufgenommen zu haben. Zudem wirft die russische Generalstaatsanwaltschaft Memorial vor, durch ihre Arbeit die Sowjetunion als "Terrorstaat" darzustellen und Lügen über das Land zu verbreiten.

Memorial führt eine Liste von politischen Gefangenen in Russland. Viele von ihnen werden von den Behörden als Extremisten eingestuft. Moskau beschuldigt Memorial, das "Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen" zu unterstützen.

Die 1989 gegründete Organisation dokumentierte 30 Jahre lang die Verbrechen der früheren Sowjetunion, indem sie Dokumente sammelte, Ausstellungen organisierte und Druck auf den Staat zur Anerkennung seiner Verantwortung ausübte. Zugleich setzte sich Memorial für die Verteidigung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Russland ein.

2021 aufgelöst, 2022 mit Nobelpreis ausgezeichnet

Memorial gilt als die größte und älteste unabhängige Menschenrechtsorganisation im Land. Sie engagiert sich für die Aufarbeitung von politischer Verfolgung und Stalin-Terror sowie die Rehabilitierung von Betroffenen. Die Mitglieder von Memorial setzen sich zudem für die Wahrung von Menschenrechten ein, etwa im Nordkaukasus oder auf der Halbinsel Krim.

Die Organisation wurde 2021 auf Anweisung der russischen Behörden aufgelöst, weil sie gegen Gesetze verstoßen haben soll. Memorial hatte es abgelehnt, den umstrittenen Titel "ausländischer Agent" zu tragen. Ein Jahr später wurden die Menschenrechtler mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Frank Aischmann, Frank Aischmann, MDR, 21.03.2023 15:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 21. März 2023 um 12:54 Uhr und 14:53 Uhr.