
Getöteter saudischer Journalist Khashoggi-Verfahren geht nach Riad
Das Verfahren zum Mord an dem Journalisten Khashoggi wird von der Türkei nach Saudi-Arabien verlegt. Menschenrechtsaktivisten schlagen Alarm: Dies werde zu einer Vertuschung des Verbrechens führen.
Eigentlich war die Sache klar: Die türkische Justiz ermittelt nun seit dreieinhalb Jahren im Mordfall Khashoggi - 26 saudische Angeklagte in Abwesenheit, erschütternde Details über die Knochensäge und eine verschwundene Leiche. Doch dann kam vor wenigen Tagen, die überraschende Kehrtwende.
"Wir werden eine Verlegung des Falls befürworten", so der türkische Justizminister Bekir Bozdag. "Aber ein Transfer nach Saudi-Arabien bedeutet nicht, dass die Türkei sich nicht mehr zuständig fühlt."
Riad wollte den Prozess übernehmen
Mehrfach hatte Saudi-Arabien angeboten, später gefordert, den Fall zu übernehmen, also den weiteren Gerichtsprozess in Riad stattfinden zu lassen. Nun wurde dem Könighaus Gehör geschenkt. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem Ankara und Riad sich bemühen, ihre Beziehungen zu verbessern. Zufall?
Geheimdienstinformationen zufolge soll der Mordbefehl aus Kreisen um den saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman höchstpersönlich gekommen sein. Dieser bestreitet das immer wieder, verspricht aber Aufklärung: "Wir werden zusammenarbeiten, Kriminelle zu bestrafen und die Gerechtigkeit wird am Ende siegen", sagte Mohammed bin Salman.
"Keinerlei Chance, den Fall aufzuklären"
Gerechtigkeit? Genau das bezweifeln Menschenrechtsaktivisten. Bereits vor zwei Jahren gab es in Saudi-Arabien einen Prozess, in dem acht Personen wegen des Mordes an Jamal Khashoggi verurteilt wurden - das war ein Scheinprozess, sagen Menschenrechtsgruppen.
Sei erstmal Saudi-Arabien allein für die Aufarbeitung verantwortlich, werde die Wahrheit nie ans Licht kommen, befürchtet Ahmed Benchemsi von Human Rights Watch im Interview mit der ARD: "Die Verlegung des Falls bedeutet, dass es null Gerechtigkeit gibt und keinerlei Chance, den Fall aufzuklären. Es bedeutet, dass die Saudis mit dem Mord davonkommen. Denn dann liegt die Aufklärung des Falls in den Händen derer, die den Mord beauftragt haben."
Kritiker im Gefängnis oder tot
Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien gilt immer noch als katastrophal. Wer sich kritisch äußert, verschwindet hinter Gittern. Erst vor wenigen Wochen wurden in einer Massenhinrichtung 81 Menschen an einem Tag getötet - Beobachtern zufolge ohne faires Verfahren.
"Die Situation ist sehr düster", beschreibt Benchemsi die Lage. "Es gibt keine Möglichkeit einer politischen Opposition. Alle Kritiker sind entweder im Gefängnis, im Exil oder wurden getötet. Es gibt keine transparenten Verfahren, Geständnisse werden mit Folter erzwungen, die Lage ist sehr ernst."
Saudi-Arabien feilt am Image
Dabei ist das Image, das sich Saudi-Arabien seit einigen Jahren geben möchte, ein völlig anderes: Mehr Rechte für Frauen, gesellschaftliche Freiheiten, attraktive Konzerte und andere Großveranstaltungen - Saudi-Arabien feilt an seiner Kampagne des makellosen Wohlfühlstaates am Golf. Alles Fassade? Fakt ist: Eine gesellschaftliche Öffnung der Golfmonarchie bedeutet keineswegs politische Zugeständnisse.
Benchemsi meint: "Wir nennen das den Versuch, die Weste weiß zu waschen. Viel PR, tolle Kulturveranstaltungen, Sportevents wie Formel 1, Modenschauen - alles schön für die Leute. Aber damit soll die internationale Gemeinschaft abgelenkt werden. Wir sollen den Saudis applaudieren, dass sie endlich wieder Konzerte stattfinden lassen. Und das, obwohl es massive Menschenrechtsverletzungen gibt und gefoltert wird? Nein, das machen wir nicht mit."
Wohl keine internationale Kritik
Doch der internationale Wind steht günstig für Saudi-Arabien: Angesichts der Ukraine-Krise und der weltweiten Sorge um knappe Energieressourcen muss die ölreiche Monarchie am Golf offenbar keine grundlegende Kritik an ihrem Vorgehen fürchten.
Sarah Leah Whitson von "Democracy for the arab world now", der Organisation, die Khashoggi kurz vor seiner Ermordung gegründet hat, sagt: "Es ist eindeutig, dass die saudische Regierung die Ukraine-Krise nutzt, um still und heimlich 81 Leute hinzurichten, ohne eine große internationale Reaktion zu befürchten. Westliche Regierungen, allen voran die USA und Großbritannien, verbrüdern sich gerade mit Mohammed bin Salman, damit er die Ölproduktion hochfährt. Und der hat gezeigt, dass er machen kann, was immer er will."