Lebensmittelausgabe an Bewohner von Sanaa.

Ende des Ramadans Jemen hofft auf Fortsetzung der Feuerpause

Stand: 01.05.2022 03:00 Uhr

Der Ramadan brachte dem Jemen eine stabile Waffenruhe, Hilfsorganisationen konnten mehr Menschen mit Nahrungsmitteln erreichen. Nun geht der Fastenmonat zu Ende - und das Land hofft auf eine Fortsetzung der Feuerpause.

Von Anna Osius, Kairo

Die Ärmchen sind dünn wie Bleistifte, der Kopf wirkt überproportional groß: Ein gerade einmal einjähriger Junge liegt auf einem provisorischen Bett im Flüchtlingslager von Hajjah, nordwestlich der Hauptstadt Sanaa im Jemen. Er ist vom Hunger gezeichnet: Der Bauch aufgebläht, die Augen riesig.

Sie finde niemanden, der Milch für ihre Kinder hat, erzählt die 36-jährige Seham der Nachrichtenagentur Reuters. Sie gebe den Kleinen zwar Nuckel-Fläschchen mit Zuckerwasser, aber das sei alles, was sie habe. Nach der Geburt des Kindes habe sie nur Wasser mit etwas Zucker getrunken. Auch jetzt esse sie kaum etwas, nur Tee und Brot, manchmal etwas Zucker - obwohl sie wieder schwanger sei. Sie bete nur für eines: "Dass ich mein Kind nach der Geburt im Arm halten darf."

Seham wohnt in einer der selbstgebauten Hütten aus Stöcken und Tüchern, in denen unter ärmlichsten Bedingungen Großfamilien campieren. Sie sind vor den heftigen Kämpfen in ihrer Heimat geflohen. Die Frauen kochen in verbeulten Gefäßen auf dem offenen Feuer, rühren mit Stöcken im Reisbrei. Aber - immerhin - es gibt wieder öfter etwas zu essen, erzählt Großmutter Zahraa: "Wir essen das, was wir von den Hilfsorganisationen bekommen. Getreide, Bohnen, solche Sachen. Wenn wir nichts bekommen, gehen wir hungrig ins Bett. Wir sind zu fünft, wir leben unter so schwierigen Umständen - gefangen zwischen Hunger und Erschöpfung."

Meshaal Mohammad ist vier Jahre alt - und wiegt nur neun Kilogramm.

Meshaal Mohammad ist vier Jahre alt - und wiegt nur neun Kilogramm. Der jahrelange Bürgerkrieg, Hunger und Not im Jemen hinterlassen ihre Spuren in einer ganzen Generation.

"Eine der größten Chancen für das Land"

Hilfsorganisationen melden: Seit Beginn der Waffenruhe im Jemen vor rund einem Monat konnten wieder deutlich mehr Menschen mit Hilfsgütern erreicht werden als während der Kämpfe. Zwei Drittel der Bevölkerung sind von internationaler Hilfe abhängig, immer noch verhungern täglich Kinder oder bleiben für ihr Leben lang behindert - als Folge von Unterernährung. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Krise im Jemen als größte humanitäre Katastrophe weltweit.

Die Waffenruhe sei ein echter Hoffnungsschimmer, sagt Richard Ragan vom UN-Welternährungsprogramm: "Wir hatten vor Beginn der Waffenruhe eine sehr schwierige Situation. Jetzt sind wir voller Hoffnung, dass die Waffenruhe vielleicht sogar verlängert wird. Das ist eine der größten Chancen für das Land seit Jahren."

Endlich erreichten Hilfsorganisationen die Menschen wieder: "Wir sind hier jetzt im achten Bürgerkriegsjahr und allein unser Welternährungsprogamm ist für 15 Millionen Menschen ausgelegt - das ist die Hälfte der Bevölkerung. Sie alle leben buchstäblich von der Hand in den Mund. Wir erleben hier eine der größten Hilfsaktionen, die das Welternährungsprogramm jemals hatte."

Huthi-Kämpfer im Jemen (Archivbild).

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Folgen des Kriegs in der Ukraine

Im Jemen kämpfen die Truppen des ehemaligen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi gegen die Huthi-Rebellen, die das Land 2014 überrannten. Hadis Truppen erhalten Hilfe von einer Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens, die Huthis werden aus dem Iran unterstützt. Beobachtern zufolge war es zuletzt in dem sogenannten Stellvertreterkrieg der beiden Regionalmächte zu einer Art Pattsituation gekommen, so dass alle Parteien der Waffenruhe zustimmten.

Die große Hoffnung ist jetzt, dass die Waffenruhe auch nach Ende des Fastenmonats Ramadan weiter hält - und möglicherweise sogar verlängert wird. "Aber wir dürfen die Herausforderungen nicht aus dem Blick verlieren", sagt der UN-Sondergesandte für den Jemen, Hans Grundberg. "Wir sind von der Zustimmung der Kriegsparteien abhängig, was eine weitere Durchsetzung der Waffenruhe betrifft. Positiver Dialog ist der Schlüssel in diesem Bereich."

Denn noch ein weiteres Problem zeigt sich momentan im Jemen: Die Ukraine und Russland gehörten bislang zu den wichtigsten Getreidelieferanten für zahlreiche Entwicklungsländer. Auch der Jemen ist davon betroffen. Die Vereinten Nationen haben kürzlich weitere 20 Millionen US-Dollar bereitgestellt, um die Verschärfung der Hungersnot im Jemen aufzufangen. Mit dem Geld sollen Lebensmittel gekauft werden.

Doch ob diese rechtzeitig im Flüchtlingslager von Hajjah bei dem unterernährten Kleinkind und seiner Familie ankommen, ist fraglich - alles hängt von der weiteren Entwicklung der Waffenruhe nach Ende des Ramadans ab.