Proteste in der iranischen Hauptstadt Teheran.

Proteste im Iran Große Solidarität - und alle Härte des Regimes

Stand: 15.10.2022 09:44 Uhr

Im Iran solidarisieren sich immer mehr Menschen mit den Protestierenden, die bisher nichts mit den Protesten zu tun haben. Das Regime geht mit aller Härte gegen Demonstranten vor - für Dialog scheint es zu spät zu sein.

"Tod Khamenei" - dem geistlichen und obersten Führer Irans, rufen Demonstrierende. Es ist einer der größeren Proteste. Zuletzt gab es häufiger mehrere kleine Aktionen. Zum Teil sollen sie nur wenige Minuten gedauert haben, wie Nadelstiche gegen ein übermächtiges Regime.

Seit dem Tod der 22 Jahre alten Mahsa Amini Mitte September zieht es Menschen in vielen Städten auf die Straße. Ihnen geht es längst nicht mehr nur um den Tod von Mahsa in Polizeigewahrsam. Oder um die Lockerung von Bekleidungsvorschriften. Den Demonstrierenden geht es um Grundsätzliches, sagte der Politikwissenschaftler Ali Fatollah Nejad kürzlich in den tagesthemen: "Wir haben es zweifelsohne mit einem revolutionärem Prozess in Iran zu tun."

Revolution, Umsturz - letztlich ein Ende der Islamischen Republik Iran in ihrer heutigen Form. Die meisten beteiligen sich nicht direkt an den Protesten. Aber Autofahrer hupen aus Solidarität. Passanten mischen sich ein, wenn etwa eine Frau ohne Kopftuch gejagt wird. Bei den Demonstrationen sind vor allem junge Menschen auf der Straße, Frauen und Männer.

Ali Fathollah Nejad, Politikwissenschaftler, zur Wirkung der Proteste im Iran

tagesthemen, tagesthemen, 11.10.2022 22:15 Uhr

Viele sind Studierende. Von denen gingen die großen Proteste 1999 aus. Doch zuletzt hätten sie sich zurückgehalten, so die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur. Zu groß sei das Druckmittel gewesen, dass sie einfach von der Universität geworfen werden könnten.

Teilnahme der Studierenden neue Qualität

Dass sie jetzt dabei seien, spreche für eine neue Qualität der Proteste: "Dass die Studierenden jetzt auf die Straße gehen, zeigt nicht nur den großen Unmut, sondern spricht natürlich auch dafür, dass man eine kritische Masse erreichen könnte. Denn Studierende im Iran sind eine sehr sehr breite, eine sehr wichtige, eine sehr große Masse an Menschen. Wenn die auf die Straße gingen, dann könnte es tatsächlich zu der immer mal wieder beschworenen kritischen Masse kommen, die es bräuchte, um das Regime zu stürzen", sagte Amirpur im Oktober.

Ob das erreicht werde, sei jedoch zweifelhaft. Denn das Regime begegnet Protesten mit aller Härte. Schließlich steckten hinter den Demonstrationen ausländische Mächte, so der oberste Führer des Landes, Khamenei: "Das ist keine inländische, spontane Angelegenheit. Die Aktionen des Feindes, seine Propaganda, seine Bemühungen, die Gedanken der Menschen zu beeinflussen und aufzuwühlen, die Art und Weise, wie er den Menschen sogar beibringt, wie man etwa Molotowcocktails baut - das ist völlig klar und offensichtlich."

Weit mehr als 100 Menschen sind bei den Protesten bisher ums Leben gekommen - Menschenrechtsorganisationen sprechen teils von mehr als 200, darunter auch Polizisten. Nach Angaben von Amnesty international sind bei den Protesten bisher 23 Kinder getötet worden. Der Polizeichef sagt, das Volk sei vor Umstürzlern zu schützen. So sieht es auch der oberste Richter im Land, Mohseni Ejei. Er bietet aber an, mit Kritikern zu reden: "Wenn es wirklich Kritik und Protest gibt, werden wir das natürlich akzeptieren und gegebenenfalls unsere Fehler korrigieren. Wenn es eine Schwachstelle gibt, werden wir sie beheben. Wir haben keine Angst davor."

Große Solidarität in der Bevölkerung

Zuletzt befiehlt er jedoch, gegen Anführer der Proteste harte Strafen zu verhängen. Für Dialog im Land scheint es zu spät zu sein. Zu entschlossen sind offenbar auch die Protestierenden. Natürlich stehen längst nicht alle der mehr als 80 Millionen Menschen im Land auf ihrer Seite. Doch Bilder von gejagten und gepeitschten Studierenden schaffen Solidarität auch in Teilen der Bevölkerung, die bisher nichts mit den Protesten zu tun haben, so Amirpur.

Das könne dem Regime gefährlich werden. Aber Amirpur glaubt auch, dass die so genannten Revolutionsgardisten bis zum Letzten kämpfen werden, um das Regime zu erhalten. Zu groß seien ihre Pfründe und zu groß das Leid, das sie den Menschen zugefügt hätten: "Sie wissen, sie können quasi nichts anderes tun außer kämpfen, weil man ihnen einfach nicht vergeben wird, was sie dieser Bevölkerung angetan haben."

Auch wenn es nicht zu einer neuen Revolution im Iran kommen sollte: Die Gesellschaft ist gespalten - und zwar jenseits von politischen Meinungen, sagt Politikwissenschaftler Fatollah Nejad: "Wir sehen eine eklatante Kluft zwischen einer überwiegend jungen Bevölkerung und einer Herrscherkaste von alten greisen Männern."

Uwe Lueb, 15.10.2022 08:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 15. Oktober 2022 um 22:15 Uhr.