
Spannungen im Iran Welche Rolle Kurden beim Protest spielen
Gut zehn Prozent der Bevölkerung im Iran sind kurdisch. Auch die junge Frau, deren Tod den aktuellen Protest auslöste, gehörte dieser Volksgruppe an. Die Kurden sind gut vernetzt und wünschen sich mehr Freiheit.
Mahsa Amini, die junge Frau, die vor drei Wochen in Teheran in Polizeigewahrsam starb, war Kurdin, hatte einen kurdischen Vornamen: Jina. In ihrer Heimatstadt in Kurdistan im Iran gab es die ersten Proteste gleich am Tag danach bei der Beerdigung. Seitdem gehen Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten auf die Straße, nicht nur Frauen und nicht nur Kurden. Trotzdem stellt sich die Frage nach ihrer Rolle bei den Protesten.
Frau, Leben, Freiheit - die drei Worte sind zu der Parole dieser Proteste geworden. "Es ist eine kurdische Parole", erklärt Narin Alxas von der kurdischen Menschenrechtsorganisation Hengaw: "Zum einen ist das schöne ja an dieser Parole, dass sie eine Vision in sich trägt", sagt Alxas. "Und ich denke, dass das dafür gesorgt hat, dass die Menschen jetzt diese Parole als die führende für die Proteste ausgewählt haben."
Verhaftet, weil sie Kurdin war?
Dabei habe es am Anfang, als die Teheraner Sittenpolizei Amini Mitte September festnahm, keine Rolle gespielt, dass sie Kurdin sei, glaubt die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur: "Sie wurde nicht herausgezogen, weil sie Kurdin war."
Man höre einer Kurdin nicht an, dass sie Kurdin ist im Iran, so Amirpur. "Bei jemandem, der zum Beispiel aus Aserbaidschan kommt, ist das noch mal anders." Aber ob das der Sittenpolizei auffallen würde, bezweifelt die Wissenschaftlerin. "Es ging da tatsächlich nur um das Kopftuch."
Nur Amini wurde geschlagen
Alxas von der Menschenrechtsorganisation Hengaw ist sich da nicht sicher. Zumindest habe Amini die strengen Kontrollen der Sittenpolizei so nicht aus ihrer Heimatstadt Saghez in Kurdistan gekannt. In der Polizeistation sei die 22-Jährige als einzige von mehreren Frauen, die mit ihr festgenommen wurden, geschlagen worden, berichtet Alxas. Das könnte mit ihrer Herkunft zu tun gehabt haben, sei aber auch nicht belegt. Am Freitag, den 16. September, stirbt Amini in Polizeigewahrsam.
Am Tag darauf wird sie in ihrer Heimatstadt beerdigt, die Kurden gehen dort auf die Straße. Die Proteste breiten sich sehr schnell aus. Ein Grund dafür sei, so die Islamwissenschaftlerin Amirpur, dass die Kurden nicht erst seit der Islamischen Republik unter Diskriminierung und Unterdrückung leiden:
Kurden im Iran sind traditionell besser organisiert. Die kriegen ihre Leute einfach schneller auf die Straße. Das ist ein Faktor, der für die Organisation der Proteste eine wichtige Rolle gespielt hat.
Kurdische Solidarität wurde geweckt
Mahsa Amini heißt bei Familie und Freuden nur Jina. Der Vorname Mahsa war rein für die iranischen Behörden, weil kurdische Namen in offiziellen Papieren nicht erlaubt sind. Gut zehn Prozent der Bevölkerung im Iran sind kurdisch. Sie stehen immer wieder im Konflikt mit der islamischen Führung in Teheran.
Das hat sich auch auf die aktuellen Proteste ausgewirkt. "Kurden verspüren noch einmal eine stärkere Solidarität mit einer Kurdin", meint Amirpur. "Deswegen sind in der Gegend, aus der sie kam, die Menschen zuallererst auf die Straßen gegangen". Die Wissenschaftlerin vermutet auch, dass die Gewaltbereitschaft bei der Polizei größer gewesen sei, da bei Kurden immer auch Separatismusbestrebungen befürchtet würden. Das habe wiederum dazu geführt, "dass noch mehr Kurden auf die Straße gegangen sind".

Die Proteste im Iran, wie hier in der Hauptstadt Teheran, werden auch von ethnischen Minderheiten unterstützt.
Ethnische Minderheiten rücken zusammen
Sehr schnell gibt es in vielen Städte im ganzen Land Proteste, die bis heute anhalten - trotz massiver Gewalt durch die Sicherheitskräfte. Sie alle haben das gemeinsame Ziel, das Regime zu stürzen. Die Menschenrechtsaktivistin Alxas sieht vor allem die Solidarität der ethnischen Minderheiten erstarkt: "Die rücken gerade sehr stark zusammen. Vor allem Kurden und Belutschen."
Internet nur von 0 bis 8 Uhr
Nach ihren Angaben liegt der Schwerpunkt der Proteste in der iranischen Provinz Kurdistan im Nordwesten. Die Menschenrechtsorganisation Hengaw, 2016 gegründet, sammelt Informationen aus dem ganzen Land.
Ununterbrochen veröffentlicht sie Videos und Informationen, beispielsweise über Todesopfer und Festnahmen: "Wir erhalten die Informationen meistens direkt von den Betroffenen", berichtet Alxas. "Auch jetzt gerade, wo das Internet abgeschaltet ist." Das Netz sei aber nicht 24 Stunden lang nicht erreichbar, so die Aktivistin. "Immer von zwölf Uhr nachts bis acht Uhr morgens funktioniert es." Auch hätten viele Kurden Handytarife von Anbietern der benachbarten autonomen Region Kurdistan im Irak. Die hätten dann jederzeit Zugriff aufs Internet.
"Die Menschen haben die Freiheit gerochen"
Die Menschenrechtsorganisation berichtet auch über einen Vorfall Ende September in der kurdischen Stadt Oschnaviyeh. Alxas nennt ihn einen Moment der Freiheit:
Da haben die Menschen es für wenige Stunden geschafft, die Regimekräfte aus der Stadt zu vertreiben. Sie riefen da schon 'Freiheit, Freiheit!' Und das wurde im gesamten Land gefeiert. Ich glaube, dieses Mal ist es so: Die Menschen haben die Freiheit gerochen. Sie haben erkannt, dass es nicht undenkbar ist, dass diesem Regime ein Ende gesetzt werden kann.
Mahsa Jina Amini steht für die Wut der Frauen, der jungen Menschen und der ethnischen Minderheiten im Iran.