Ekrem Imamoglu

Ekrem Imamoglu Nadelstiche gegen Istanbuls Bürgermeister

Stand: 07.05.2021 04:53 Uhr

Präsident Erdogan sieht im Istanbuler Bürgermeister Imamoglu einen gewichtigen Konkurrenten. Deshalb lässt er keine Gelegenheit aus, ihn anzugehen. Verfängt die Zermürbungstaktik?

Kaum ein türkischer Oppositionspolitiker dürfte Präsident Recep Tayyip Erdogan soviel Kopfzerbrechen bereiten wie der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu. Der 50-Jährige gewann 2019 trotz heftiger Widerstände Erdogans islamisch-konservativen Partei AKP die Wahl in der 16-Millionen-Metropole Istanbul. Seitdem gilt Imamoglu als Favorit für die Kandidatur der größten Oppositionspartei CHP bei der für 2023 geplanten Präsidentschaftswahl.

Bei der Kommunalwahl 2019 hatte Erdogan schon bewiesen, dass er bereit ist, alle Register zu ziehen, um die Macht zu behalten. Weil Imamoglu damals knapp gegen den AKP-Kandidaten gewann, annullierte der Hohe Wahlrat die Wahl auf AKP-Beschwerde hin wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten. In der zweiten Runde zeigten die Istanbuler Erdogan die tiefrote Karte. Imamoglu gewann so eindeutig, dass Erdogan kleinbeigab.

Ekrem Imamoglu im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt von Istanbul im Juni 2019

2019 konnten auch juristische Verfahren die Wahl von Imamoglu nicht verhindern. Tritt er 2023 für das Präsidentenamt an, dürfte er ein ernsthafter Konkurrent für Erdogan sein.

Die Justiz und der Respekt

Doch inzwischen geht es um die ganze Macht im Land, und deshalb lässt der zunehmend autoritär agierende türkische Herrscher keine Gelegenheit aus, um den CHP-Mann zu zermürben. So verkündete das Innenministerium in Ankara am Dienstag, man ermittle gegen Imamoglu wegen respektlosen Verhaltens.

Die regierungskritische Tageszeitung "Cumhuriyet" ergänzte, der Bürgermeister habe mit den Händen auf dem Rücken vor dem Grabmal des Sultans Mehmet II. gestanden. Offenbar sei Imamoglus Haltung eine Beleidigung des Andenkens an den Sultan, der Istanbul 1453 erobert hatte. Die Gedenkfeier fand allerdings schon vor einem Jahr statt. Der Oppositionspolitiker kommentierte die Ermittlungen als traurige Angelegenheit.

Darüber hinaus lastet ihm das Innenministerium Besuche bei der prokurdischen Oppositionspartei HDP an, die mit mehr als 50 Abgeordneten im Parlament sitzt. Dort habe er sich lobend über Kriminelle geäußert, so das Ministerium. Die türkische Regierung beschuldigt die HDP, politischer Arm der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Regelmäßige Eingriffe in die Kommunalpolitk

Die Ermittlungen reihen sich ein in immer wieder neue Nadelstiche aus Ankara gegen den landesweit bekannten Imamoglu. Im Mai 2020 entzieht die AKP-Regierung der Stadt Istanbul die Aufsicht über den Galataturm. Der Turm ist einer der wichtigsten Touristenmagneten am Bosporus. Täglich stehen Besucher aus aller Welt Schlange und bezahlen 30 Lira, also etwa drei Euro pro Person, um den 1349 fertiggebauten Turm zu besichtigen. Erdogan gönnte diese Einnahmen der Stadt Istanbul offenbar nicht mehr.

Genauso wenig wie ein Projekt, das die unter der AKP-Ägide zubetonierte Metropole verschönern soll. Imamoglu wollte den im Zentrum der Stadt liegenden Gezipark neugestalten, ließ dafür von verschiedenen Architekten Pläne entwickeln und die Bürgerinnen und Bürger Istanbuls online befragen, welchen Plan sie favorisierten.

Daraufhin übertrug Erdogan im März den Park an eine Stiftung, die bisher niemand kannte und die offenbar nur auf dem Papier existiert. In mehreren regierungskritischen Zeitungen hieß es, es gebe nicht einmal eine Adresse. Die Stadtverwaltung klagt nun gegen die Enteignung.

Nicht jeder Stich trifft

Erdogans Nadelstiche laufen bisweilen aber auch ins Leere, wie ein wenige Tage alter Richterentscheid zeigt. Nachdem Imamoglu ins Amt gekommen war, ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Unregelmäßigkeiten bei einer Ausschreibung, als er noch Bürgermeister eines Istanbuler Stadtteils war.

In diesem Zusammenhang schrieb die regierungsnahe Zeitung "Sabah" von angeblichen Verbindungen Imamoglus zur Gülen-Sekte, die vom türkischen Staat für den Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht wird. Ein gängiges Mittel, um Oppositionspolitiker zu diskreditieren. Dem Richter war die Suppe offenbar viel zu dünn. Er stellte das Verfahren ein.

Die Parlamentsmehrheit könnte verloren gehen

Nachvollziehbar werden Erdogans kontinuierlichen Angriffe, wenn man auf die jüngsten Zahlen des türkischen Meinungsforschungsinstituts Metropoll blickt. Imamoglus CHP ist mit gerade mal 18 Prozent weit davon entfernt stärkste Partei zu werden. Aber auch Erdogans AKP liegt derzeit lediglich bei etwa 27 Prozent. Die nationalistische MHP, mit der die AKP im Bündnis steht, kommt auf etwa neun Prozent.

Zwar ist immer noch jeder fünfte Wähler unentschlossen, doch selbst wenn diese proportional auf alle zur Wahl stehenden Parteien aufgeteilt werden, kann Erdogans Partei zusammen mit den Nationalisten keine Mehrheit im Parlament schmieden.

Viele Bürgermeister unter Druck

Mit weiteren Aktionen gegen Imamoglu ist zu rechnen. In der Vergangenheit gab es auch schon Spekulationen, dass der Oberbürgermeister, wie viele Amtskollegen im Südosten der Türkei, kurzerhand abgesetzt und durch einen Zwangsverwalter ersetzt wird.

Doch davor dürfte Erdogan bisher wohl auch deshalb zurückschrecken, weil es einen gewaltigen Unterschied macht, ob er mehrere Hunderttausend Wähler wie beispielsweise in der kurdisch geprägten Stadt Diyarbakir oder gar mehrere Millionen Wähler in Istanbul gegen sich aufbringt. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 07. Mai 2021 um 08:33 Uhr.