Recep Tayyip Erdogan trifft bei seinem Besuch in der Stadt Kahramanmaras mit Einwohnern zusammen. | AFP

Erdbeben in der Türkei Erdogan verspricht Hilfe und sorgt für Kritik

Stand: 09.02.2023 06:25 Uhr

Präsident Erdogan ist in die Erdbebengebiete im Südosten der Türkei gereist. Vor Ort versprach er finanzielle Hilfe. Die Zahl der Opfer der Katastrophe steigt weiter.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist in das Erdbebengebiet im Südosten des Türkei gereist. Er sei in der Provinz Kahramanmaras angekommen, teilte das Präsidialamt mit. Erdogan wollte auch die Provinz Hatay besuchen. Beide Gebiete sind stark von den Beben getroffen, die Zentren vieler Städte massiv zerstört. Die Zahl der Toten allein in der Türkei liegt inzwischen bei mehr als 12.000.

Kritik an Erdogan

Bei seinem Besuch in Kahramanmaras versprach Erdogan den betroffene Familien jeweils 10.000 Türkische Lira (etwa 500 Euro) Soforthilfe. Er räumte auch ein, dass es am ersten Tag Probleme bei der Rettung gegeben habe. Ab dem zweiten Tag habe man die Situation bewältigen können, sagte Erdogan vor Ort.

Betroffene klagen dagegen über fehlende oder nur schleppende Hilfe bei der Bergung Verschütteter. Der türkische Oppositionsführer warf Erdogan persönlich Versagen vor. "Wenn jemand hauptverantwortlich für diesen Verlauf ist, dann ist es Erdogan", sagte Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP. Der Präsident habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten. "Dieser Zusammenbruch ist genau das Ergebnis einer systematischen Profitpolitik."

Auch Nasuh Mahruki, der nach dem verheerenden Beben von 1999 eine Such- und Rettungsgruppe gegründet hatte, kritisierte die Regierung. Ein Protokoll, das es der Armee ermöglicht hätte, ohne Anweisungen von oben zu helfen, sei unter Erdogan abgeschafft worden. Darum sei das Militär jetzt nicht rechtzeitig aktiv geworden.

Erdogan weist Kritik zurück

Erdogan wies die Kritik entschieden zurück und erklärte, Einheit und Solidarität seien jetzt angesagt. "In einer Zeit wie dieser kann ich es nicht ertragen, dass Menschen aus politischen Interessen negative Kampagnen betreiben", sagte er. Die Menschen sollten nur auf Anweisungen der Behörden wie dem Katastrophenschutz hören und nicht etwa auf "Provokateure".

Im Mai soll in der Türkei gewählt werden. Laut Umfragen ist ein Sieg Erdogans nicht sicher, es deutet sich noch kein klarer Trend an.

Twitter offenbar eingeschränkt

Nach Angaben des Netzbeobachters NetBlocks war in dem Land der Zugang zu Twitter eingeschränkt. Auch über Tunneldienste (VPN) sei Twitter nicht mehr zu erreichen, klagten Nutzer. Ob ein Zusammenhang mit der lauter werdenden Kritik am staatlichen Krisenmanagement besteht, ist unklar.

Türkische Politiker und Prominente protestierten gegen die mutmaßliche Twitter-Sperre. Oppositionsführer Kilicdaroglu schrieb auf Twitter: "Diese wahnsinnige Palastregierung hat die Kommunikation der sozialen Medien unterbrochen". "Das Ergebnis ist, dass Hilferufe weniger gehört werden. Wir wissen, was sie alles zu verbergen versuchen. Wir warten auf eure Erklärung."

Auch der türkische Schauspieler und Comedian Cem Yilmaz forderte Aufklärung. "Gibt es eine Erklärung dafür, dass Twitter beschränkt wurde, wo es doch nützlich sein kann, Leben zu retten?" In den sozialen Medien forderten Nutzer unter einem Hashtag die Freigabe von Twitter. Immer wieder hatten in den vergangenen Tagen verschüttete Menschen über die sozialen Medien Hilferufe abgesetzt. In den sozialen Medien forderten Nutzer unter einem Hashtag die Freigabe von Twitter.

Karte von der Türkei und Syrien mit mehreren Erdbeben (Stand 6.2.23 12 Uhr)

Karte des Erdbebengebiets in der türkisch-syrischen Grenzregion (Stand 6.2.23)

Tausende Rettungs- und Suchteams im Einsatz

Die Rettungsarbeiten in den Erdbebengebieten liefen auf Hochtouren, wie der türkische Vizepräsident Fuat Oktay mitteilte. "Diese Arbeiten werden fortgesetzt, bis wir den letzten Bürger unter den Trümmern erreicht haben." Nach Angaben Oktays sind rund 16.150 Rettungs- und Suchteams im Einsatz, sie seien in alle betroffenen Provinzen und Bezirke entsandt worden. Insgesamt seien etwa 60.000 Helfer vor Ort. Erdogan rief den Ausnahmezustand in zehn vom Beben betroffenen Provinzen aus.

Schätzungen der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften zufolge sind allein in der Türkei etwa 150.000 Menschen obdachlos geworden. In einigen Gegenden werfen Bewohnerinnen und Bewohner der Regierung vor, nicht genügend zu tun.

Baby nach 58 Stunden aus Trümmern gerettet

Oktay sagte, dass in der vergangenen Nacht internationale und lokale Teams vor allem in die Provinzen Adiyaman, Hatay und Kahramanmaras gebracht würden, teils auf dem Luftweg. Die Wetterbedingungen ließen solche Flüge zu, was die Arbeit erleichtere.

Noch immer können Menschen aus den Trümmern gerettet werden. Helfer im südtürkischen Hatay retteten nach 58 Stunden unter Trümmern ein vier Monate altes Mädchen. Die Helfer stiegen in eine Lücke zwischen den eingestürzten Hauswänden, wickelten das Baby in eine Decke und hoben es heraus, wie Aufnahmen zeigten.

In Kahramanmaras wurde ein einjähriges Kind mit seiner schwangeren Mutter nach 56 Stunden lebend unter den Trümmern hervorgeholt, wie die Nachrichtenagentur DHA berichtete. Das Gesicht des Mädchens war weiß vor Staub. Der Vater war schon zuvor lebend gerettet worden.

Straße repariert - WHO bringt Hilfe nach Syrien

Eine bei dem Beben zerstörte Straße zwischen der Türkei und Syrien ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wieder so weit hergestellt, dass Hilfsgüter transportiert werden können. So könnten die Opfer in Nordsyrien mit Notfallmaterial aus einem Lager in der Türkei versorgt werden, sagte der WHO-Vertreter in der Türkei, Batir Berdiklischew. Zudem sollen WHO-Flugzeuge mit Hilfsgütern demnächst nach Damaskus fliegen.

50 THW-Einsatzkräfte in der Türkei

Aus Deutschland sind inzwischen 50 Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) zum Hilfseinsatz in Gaziantep im Südosten der Türkei eingetroffen. Ihre Aufgabe sei es, verschüttete Menschen zu orten, zu retten und zu versorgen, sagte ein Sprecher. Nach der Landung am Morgen würden sie zunächst Fahrzeuge beladen und dann in ihr Einsatzgebiet fahren. Zudem werden 50 Tonnen an Hilfsgütern, darunter Feldbetten, Decken und Zelte, in die Region geschickt.

Auch andere deutsche Hilfsteams nahmen bereits ihren Einsatz auf. Helfer der Organisation I.S.A.R. seien an der Rettung einer verschütteten Frau beteiligt gewesen, teilte die Organisation mit, die in der heftig getroffenen Stadt Kirikhan nahe der türkisch-syrischen Grenze hilft. Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte Erdogan weitere Unterstützung zu.

Botschafter bedankt sich für Solidarität

Der türkische Botschafter in Deutschland, Ahmet Basar Sen, bedankte sich bei der deutschen Gesellschaft und Regierung für ihre "enge und intensive Solidarität". "In solch schwierigen Zeiten ist es gut zu wissen, dass wir uns auf unsere Freunde in Europa uneingeschränkt verlassen können."

Neben Spezialteams für Such- und Rettungsmaßnahmen benötigten die Menschen jetzt vor allem Notunterkünfte, Medikamente und Materialien wie Generatoren, Heizungen, Decken und Schlafsäcke, sagte Sen. Die Lieferung dieser Mittel habe oberste Priorität. "Wir freuen uns sehr über die Unterstützung unserer deutschen Freunde und hoffen, dass sie anhält", so Sen.

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 08. Februar 2023 um 14:00 Uhr.