
Lage in Syrien und der Türkei Seuchengefahr im Erdbebengebiet wächst
Knapp eine Woche nach den Beben in der Türkei und Syrien wächst im Katastrophengebiet die Seuchengefahr. Die Zahl der Todesopfer stieg auf über 30.000. Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren. Noch immer werden Überlebende gefunden.
Sechs Tage nach den verheerenden Erdbeben wächst in den betroffenen Regionen in Syrien und der Türkei die Gefahr von Krankheiten. "In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen", sagte Thomas Geiner, erdbebenerfahrener Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis der Nachrichtenagentur dpa.
"Die Kunst der nächsten Tage wird es sein, Hilfe dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird." Bei der Größe der Region sei es aber so gut wie unmöglich, überall die nötige Infrastruktur bereitzustellen. Die betroffenen Gebiete sind flächenmäßig fast so groß wie Deutschland.
Vielerorts besteht kein Zugang zu irgendeiner Art von Toiletten. Dadurch könnten Keime in das Grundwasser gelangen. Geiner sagte, die Situation vor Ort erinnere ihn an die in Haiti nach dem Erdbeben 2010. In der Region sehe man alles an Verletzungen, was man sich vorstellen könne. Die Gesundheitsinfrastruktur sei stark beschädigt.
Noch immer viele Vermisste
Die Zahl der Toten in der Erdbebenregion liegt nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde mittlerweile bei mehr als 30.000 Menschen. Allein in der Türkei stieg die Zahl der Todesopfer demnach auf 29.605. Aus Syrien wurden zuletzt 3775 Tote gemeldet. Da die Vermisstenzahlen noch immer sehr hoch sind, ist zu befürchten, dass die Opferzahlen noch drastisch steigen.
Die Vereinten Nationen befürchten, dass die Zahl der Todesopfer auf etwa 50.000 steigen könnte. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte dem Sender Sky News, die Opferzahl könnte sich "verdoppeln oder mehr". Schätzungen seien aber schwierig.
Weitere Überlebende geborgen
Es werden aber auch knapp eine Woche nach dem Beben immer noch Überlebende geborgen. So wurde in der Südosttürkei ein sieben Monate altes Baby aus den Trümmern gerettet. Die Helfer konnten den Jungen in der Provinz Hatay nach 140 Stunden lebend aus den Trümmern bergen, wie der Staatssender TRT berichtete.
Ein 35-Jähriger wurde nach Angaben des Senders in derselben Provinz am Morgen nach 149 Stunden unter Trümmern gerettet. Rettungskräfte des deutschen Technischen Hilfswerks (THW) bargen in der Nacht zum Sonntag eine 88-jährige Frau nach über 140 Stunden lebend aus Trümmern in der türkischen Stadt Kirikhan. Und in Antakya wurde laut einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zudem ein sechsjähriger Junge gerettet, der 137 Stunden lang unter Schutt begraben war.

WHO fordert Ausweitung der Syrien-Hilfe
Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) muss die Hilfe für die Erdbebenopfer in Syrien deutlich ausgeweitet werden. "Wir müssen mit größerer Dringlichkeit und in größerem Umfang handeln und uns besser organisieren", sagte Richard Brennan, der WHO-Nothilfekoordinator für die Region Östliches Mittelmeer.
Die Toten- und Verletztenzahlen seien immens, was aber oft vernachlässigt werde, seien die vielen Obdachlosen. Allein in Aleppo im von der Regierung kontrollierten Teil Nordwestsyriens haben nach ersten Schätzungen rund 200.000 Menschen das Dach über dem Kopf verloren, in der Hafenstadt Latakia weitere 140.000, sagte die WHO-Vertreterin in Syrien, Iman Shankiti. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) schätzt, dass bis zu 5,3 Millionen Menschen in Syrien durch das Beben obdachlos geworden sind.
Millionen Menschen in der Türkei ohne Zuhause
In der Türkei suchen nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan inzwischen mehr als 1,5 Millionen Menschen in Zelten, Hotels oder öffentlichen Notunterkünften Schutz. Zudem wurden die Schulferien verlängert, und Universitäten stellen vorerst auf Fernunterricht um - so sollen auch Studentenwohnheime als Unterkunft für Überlebende zur Verfügung gestellt werden.
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu hatte die Schulschließungen am Samstag kritisiert. Junge Leute hätten in der Corona-Pandemie genug gelitten, schrieb er auf Twitter.
Zwölf Festnahmen in der Türkei
In der Türkei kam es außerdem zu mehreren Festnahmen. So nahm die Polizei nach dem Einsturz Tausender Gebäude rund zwölf mutmaßliche Verantwortliche fest. Dazu zählten mehrere Bauunternehmer aus den Provinzen Gaziantep und Sanliurfa, wie die türkische Nachrichtenagentur DHA berichtete. Wie der türkische Vizepräsident Fuat Oktay am Samstagabend bekannt gab, wurden insgesamt 113 Haftbefehle erlassen.
Viele Menschen machen die schlechte Bauqualität für den Einsturz von Gebäuden in den türkischen Provinzen verantwortlich. Das türkische Justizministerium wies die Staatsanwaltschaft in den zehn betroffenen Provinzen an, spezielle Ämter zur Untersuchung von "Vergehen in Verbindung mit dem Erdbeben" einzurichten.
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels waren Aussagen Thomas Geiners übernommen worden, die einen Zusammenhang zwischen Leichen und Seuchenausbreitung zogen. Diesen Passus haben wir nachträglich entfernt, weil es dafür keinen wissenschaftlichen Beleg gibt.