Zwei ältere Menschen gehen in Peking eine Straße entlang und schieben einen Rollstuhl.

Ungeimpfte Senioren in China "Es könnte wirklich übel ausgehen"

Stand: 25.03.2022 10:35 Uhr

Kein Land der Welt hat mehr gegen Covid-19 geimpft als China. Doch angesichts der Omikron-Welle könnte es sich nun rächen, dass Senioren nicht priorisiert wurden. 52 Millionen Ältere sind nicht vollständig geimpft.

Im Ditan-Park im Stadtzentrum der chinesischen Hauptstadt Peking treffen sich viele ältere Männer und Frauen am Nachmittag, passen auf ihre Enkel auf, machen Sport, gehen spazieren und unterhalten sich auf Parkbänken. Die meisten hier sind gegen Corona geimpft.

So auch eine 69-Jährige, die ihre dritte Impfung im vergangenen Jahr bekommen hat. "Die Regierung hat mir gesagt, wo ich hingehen soll und dann hab ich mich impfen lassen", erzählt sie. "Das ist gut für mich und für andere auch. Wenn ich mich mit Corona anstecke, dann werde ich nicht schwer krank."

Auch wenn viele hier so denken, so sind es längst nicht alle. So wie dieser 84-jährige Mann: "Ich bin schon so alt und möchte mich nicht so viel bewegen. Meine Kinder wollen schon, dass ich mich impfen lasse, aber ich will das nicht". Im Impfzentrum seien viele Leute, Besucher müssten stehen und lange warten.

Nationale Gesundheitsbehörde warnt

Die meisten Länder haben zuerst ältere Menschen geimpft, dann die jüngeren. China hat es genau andersherum gemacht: zuerst die jungen Menschen impfen, die andere Leute treffen, reisen und arbeiten gehen, die Wirtschaft am Laufen halten. Dann die Älteren. Kein Land der Welt hat mehr gegen Covid-19 geimpft als China.

Im bevölkerungsreichsten Land der Welt sind den 1,4 Milliarden Einwohnern mehr als drei Milliarden Impfdosen verabreicht worden - fast ausschließlich die chinesischen Totimpfstoffe Sinopharm und Sinovac. Die Impfquote der Gesamtbevölkerung liegt offiziellen Zahlen zufolge bei fast 90 Prozent.

Doch bis heute seien viele Ältere nicht geimpft, erklärte Zeng Yixin von der Nationalen Gesundheitsbehörde bei einer Pressekonferenz am 18. März. "Bei uns gibt es 52 Millionen Menschen, die älter als 60 sind und nicht vollständig geimpft sind", sagte er. Die meisten davon seien älter als 80. "Die Hälfte der über 80-Jährigen ist vollständig geimpft, knapp 20 Prozent haben einen Booster erhalten. Die Impfquote ist aber immer noch sehr niedrig."

Null-Covid-Politik noch wirksam?

In China gibt es derzeit so viele Covid-Fälle wie seit zwei Jahren nicht mehr. Die Zahlen sind zwar mit wenigen Tausend Neuansteckungen täglich deutlich geringer als in den meisten anderen Ländern. Hintergrund sind Chinas de facto geschlossene Grenzen, harte Lockdowns bei kleinsten Ausbrüchen, Massentests und Reiseverbote.

Doch die Frage ist, ob sich mit der hochansteckenden Omikron-Variante die Null-Covid-Politik auf Dauer durchziehen lässt und was passiert, wenn das Virus außer Kontrolle gerät. "Das könnte ein Riesenproblem geben, wenn denen Omikron einmal aus den Händen gleitet", meint der Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen. "Bei so einer großen Anzahl vulnerabler und empfänglicher Menschen könnte es wirklich übel ausgehen."

Mehr als 6000 Tote in einer Woche

Was passiert, wenn das Virus außer Kontrolle gerät und auf viele ungeimpfte alte Menschen trifft, ist gerade in Hongkong zu beobachten. Die chinesische Sonderverwaltungsregion hat wie das Festland eine Null-Covid-Politik durchgezogen, die rund zwei Jahre lang gut funktioniert hat. Es gab kaum Fälle. Auch deswegen haben sich viele Menschen sicher gefühlt und keinen Bedarf gesehen, sich impfen zu lassen.

Dann kam die Omikron-Variante. In den vergangenen Wochen gab es täglich Zehntausende Neuinfektionen, 6500 Menschen sind in der Sieben- Millionen-Einwohner-Stadt an Covid gestorben - die meisten von ihnen in den vergangenen Wochen. Die große Mehrheit war älter und ungeimpft. Hongkong hat derzeit weltweit die höchste Sterberate im Zusammenhang mit Covid-19.

Regierung setzt auf heimische Impfstoffe

Zwar ist in Festlandchina die Impfquote höher als in Hongkong. Doch die schiere Anzahl an ungeimpften, vor allem älteren Menschen im bevölkerungsreichsten Land der Welt könnte zum Problem werden. Außerdem hat die Staats- und Parteiführung ausschließlich auf heimische Tot-Impfstoffe gesetzt. Diese schützen laut Studien nicht so gut wie beispielsweise mRNA-Impfstoffe von Moderna oder BioNTech/Pfizer.

"Das rächt sich jetzt ein wenig, dass vor allem die hauseigenen Impfstoffe gegeben wurden", meint der Virologe Weber. Man hätte diese mehr mit mRNA-Impfstoffen kombinieren sollen. "Aber nur Tot-Impfstoffe, ich denke schon, dass das ein Problem ist."

Eine Impfpflicht gibt es nicht

Darüber hinaus ist das Gesundheitssystem in Festlandchina nicht so gut ausgebaut wie das in Hongkong - und könnte noch schneller an seine Grenzen geraten. Eine Impfpflicht gibt es in China nicht. Die Staats- und Parteiführung ruft nun verstärkt alte Menschen auf, sich impfen zu lassen.

Experten fordern, jetzt schnell zu handeln, bevor es zu spät ist. Wang Hesheng von der nationalen Gesundheitsbehörde findet klare Worte: "Der Ausbruch in Hongkong muss eine Lehre für uns sein. Wenn die Impfquote bei den älteren Menschen niedrig ist, wird die Zahl der schweren Verläufe und der Toten hoch sein."

Benjamin Eyssel, Benjamin Eyssel, ARD Peking, 25.03.2022 09:01 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. März 2022 um 14:00 Uhr.