
Frauen in Afghanistan "Innerlich sind wir zerbrochen"
Sie kämpfen für ihre Rechte und für die Zukunft ihrer Töchter in Afghanistan. Doch der Preis, den Frauen für ihren Mut in Afghanistan bezahlen, ist hoch. Zwei Frauen, die noch im Mai demonstrierten, denken nun über Flucht nach.
"Wir werden so lange protestieren, bis sie unsere Forderungen akzeptieren und bis wir bekommen, was wir wollen und die Taliban zustimmen": Zhalia Parsi steht an einem sonnigen Maitag mit einer kleinen Gruppe von Frauen auf einer Straße in Kabul. Mit Plakaten wehren sich die Frauen unerschrocken und in aller Öffentlichkeit gegen die Anweisung der Taliban, Frauen sollten ab sofort ihr Gesicht nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen und nur noch wenn nötig das Haus verlassen.
Es geht um Vollverschleierung. "Was denken die sich eigentlich? Wenn die Frauen Afghanistans ihr Gesicht verschleiern oder die Burka tragen, löst das dann alle Probleme hier?", fragt Nilab Qaderi. Sie gehört zu der kleinen Protest-Gruppe.
Ein großes Risiko
Die Frauen wissen, sie riskieren mit ihrer Aktion alles. Den Taliban sind sie ein Dorn im Auge.
Seit deren Machtübernahme stemmen sich die Frauen gegen die schrittweise Abschaffung ihrer Rechte. Mädchen können nicht auf weiterführende Schulen gehen. Trotz akademischer Ausbildung verlieren Frauen wie Zhalia Parsi ihre Arbeit.
Auf ihrem Facebook-Account wird die 38-Jährige beschimpft, gedemütigt und erhält Morddrohungen. An diesem Tag im Mai sagt sie der ARD, trotzdem wolle sie weiter kämpfen, bis die Taliban die Frauen und ihre Forderungen akzeptieren.

Gezwungen, sich zu verstecken
Ende Juni dann ein Wiedersehen in Kabul. Die Adresse muss geheim bleiben, denn Parsi versteckt sich seit dem öffentlichen Protest. Die Taliban hatten die Frauengruppe festgenommen und ihnen angedroht, wenn sie weiter protestieren, müssten sie mit Gefängnis und Folter rechnen. "Wir werden dich töten", haben sie Parsi angekündigt.
Sie sei danach nicht nach Hause zu ihren fünf Kindern gefahren, erzählt sie. Seitdem ziehe sie immer wieder um, damit die Taliban sie nicht finden können.

Bildung, Engagement, Frauenrechte: Zakira Rasoli (l.) und Zholia Parsi sehen wenig Zukunft für sich in Afghanistan.
Ein langes Engagement
Die 38-Jährige gehört wie Zakira Rasoli zum vierköpfigen Führungsteam der Kabuler Frauengruppe. Beide Akademikerinnen haben schon vor der Machtübernahme der Taliban gegen die frauenfeindlichen Einstellungen in der afghanischen Gesellschaft gekämpft.
Auch Rasoli erhält Morddrohungen und muss sich verstecken. Sie ist den Tränen nahe, als sie sagt: "Wir geben uns stark, so dass niemand erkennt, wie es uns wirklich geht, aber innerlich sind wir zerbrochen."
Keine Zukunft mehr in Afghanistan?
Im Mai waren die beiden Frauen noch entschlossen, keinen Schritt vor den Taliban zurückzuweichen. Einen Monat später überlegen sie, ob sie Afghanistan besser verlassen sollten.
Beide Frauen sind sichtlich resigniert. "Wir erhalten von der Gesellschaft kaum Unterstützung", sagt Parsi. Die Frauengruppe sei stigmatisiert und isoliert.
Und ein ganz persönlicher Grund treibe sie besonders um: "Meinen Töchtern wird eine höhere Schulbildung und ein Studienabschluss verweigert. Wie kann ich da hier bleiben?" Sie würde später zurückkommen wollen, um weiterzukämpfen in ihrem Land.
Die neue Elite: unbeeindruckt
Abdul Qahar Balkhi ist seit September 2021 der Sprecher des Außenministeriums der Taliban. Ein eloquenter junger Mann, dessen Familie einst nach Neuseeland ausgewandert ist. "Sie können über die Frauenproteste berichten", sagt er, "kein Problem. Aber glauben sie ja nicht, dass alle Frauen gegen uns und unsere Anweisungen sind."
Balkhi hat Neuseeland verlassen. In Afghanistan gehört er zur neuen jungen Taliban-Elite, die die politische Agenda für das Land formulieren und durchsetzen. Frauenrechte einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft gehören nicht dazu.
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