Putin und Erdogan
Analyse

Eskalation im Südkaukasus Die zwei Mächte hinter dem Konflikt

Stand: 27.09.2020 19:27 Uhr

Bei der Eskalation im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach spielen Russland und die Türkei eine wichtige Rolle. Andere Länder haben wenig Einfluss.

Eine Analyse von Silvia Stöber

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um das Konfliktgebiet Bergkarabach hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Erstmals seit der Vereinbarung auf einen Waffenstillstand zu Beginn der 1990er-Jahre führen beide Seiten entlang der gesamten Konfliktlinie militärische Operationen aus. Zudem schlugen Artilleriegeschosse in der Hauptstadt Bergkarabachs, Stepanakert, ein.

Das Wiederaufflammen der Kämpfe hatte sich in den vergangenen Wochen abgezeichnet. Bereits Mitte Juli lieferten sich die gegnerischen Streitkräfte Gefechte mit schwerem Geschütz nördlich des eigentlichen Konfliktgebietes. Bei den mehrtätigen Auseinandersetzungen wurden mehr als 15 Soldaten und Zivilpersonen getötet.

Seitdem blieb es an der Frontlinie relativ ruhig, die Lage aber hoch angespannt. Beide Seiten hielten seitdem Militärübungen ab und reizten den Gegner mit Rhetorik und symbolischen Handlungen.

Türkei steht Aserbaidschan bei

Stärker noch als in den Jahren zuvor positionierte sich dabei die Türkei aufseiten Aserbaidschans. Präsident Recep Tayyip Erdogan äußerte damals und nun erneut schwere Vorwürfe gegen Armenien. Dem turksprachigen Bruderstaat Aserbaidschan versprach er militärische Hilfe bei der Rückeroberung Bergkarabachs, das Armenien kontrolliert.

Militärische Unterstützung demonstrierte die Türkei bereits in den vergangenen Wochen. Der türkische Generalstab reiste zu Gesprächen mit der aserbaidschanischen Armeeführung nach Baku, wo sie zudem den Startschuss für gemeinsame Manöver gaben, dies auch in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan. Offen ist, ob die türkischen Streitkräfte seitdem vollständig abgezogen sind, zumal es Berichte über Pläne zur Errichtung türkischer Militärbasen in Nachitschewan gab.

Militärstrategische Abkommen mit Zusicherung gegenseitigen Beistands hatten die Türkei und Aserbaidschan bereits in den vergangenen Jahren abgeschlossen. Jedoch hielt sich die Türkei lange militärisch und diplomatisch zurück - mit Rücksicht auf Russland, das den Südkaukasus als vorgelagerte Sicherheitszone südlich seiner Grenzen beansprucht.

Karte

Vorgelagerte Sicherheitszone Russlands

Russlands Agieren in dem Konflikt sorgt in Aserbaidschan und in Armenien für Ärger und Wut. Denn die Führung in Moskau beliefert seit Jahren beide Seiten mit Waffen. Zugleich ist Russland Schutzmacht Armeniens. Im Rahmen der von Russland geführten "Organisation für kollektive Sicherheit" gibt es eine mit der NATO vergleichbare Beistandsklausel. Tausende russische Soldaten und Grenztruppen sind in Armenien stationiert.

Die Beistandsklausel gilt jedoch nicht für Bergkarabach und die zwei russischen Militärbasen befinden sich abseits der Konfliktregion - doch in der Nähe zur türkischen Grenze. So kamen sich bei den Militärübungen in den vergangenen Wochen auch türkische und russische Truppen nahe.

Während die Türkei immer offensiver auftritt, engagiert sich Russland diplomatisch und versucht, Armenier und Aserbaidschaner zu Gesprächen zu bewegen. Der ungelöste Konflikt nutzt Russland zwar, um Einfluss in der Region zu sichern. Doch bei einem offenen Krieg könnte Russland die Kontrolle verlieren und damit das Tor nicht nur für die Türkei, sondern auch für den südlich gelegenen Iran und das zunehmend interessierte China öffnen.

Diplomatie am Ende

Mit seinem diplomatischen Engagement füllt Russland einen Raum, den die USA und die EU-Staaten lassen. Die Amerikaner führen zusammen mit Russland und Frankreich die "Minsk Group" an, die im Rahmen der OSZE seit dem Waffenstillstand Anfang der 1990er-Jahre um einen dauerhaften Frieden vermitteln soll. Doch keine der unter Mühe ausgehandelten Vereinbarungen wie die sogenannten Madrid-Prinzipien von 2007 wurden je umgesetzt.

Während Armenien in Bergkarabach immer mehr Tatsachen schuf - so ist inzwischen eine dritte Straße in das Gebiet geplant - zeigte sich die aserbaidschanische Führung immer ungehaltener darüber, dass sie keine volle Souveränität über das Gebiet innerhalb der völkerrechtlich bestätigten Grenzen ausüben kann. Allerdings blieb ebenso die Frage der Sicherheit für die armenische Bevölkerung offen.

Als Konsequenz entließ Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew kürzlich seinen langjährigen Außenminister und Verbindungsmann nach Armenien und zur "Minsk Group". Das Verhandlungsformat erklärte er praktisch für gescheitert. Er legte nahe, dass die USA und Frankreich von der dort lebenden armenischen Diaspora beeinflusst werde.

Gestärkt durch die türkische Unterstützung kritisiert Alijew jedoch auch immer offener Russland, zum Beispiel für Waffenlieferungen nach Armenien.

So kommt es wohl darauf an, dass Erdogan und Wladimir Putin wie anderswo in Syrien oder Libanon die Eskalation gemeinsam eindämmen - solange sich Armenien und Aserbaidschan nicht selbst einigen können und sich andere Staaten nicht stärker engagieren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. September 2020 um 18:00 Uhr.