Bei Del Rio (US-Bundesstaat Texas) überqueren Migranten den Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA
Reportage

US-Streit um Flüchtlingspolitik "Das hilft niemandem"

Stand: 23.05.2022 11:19 Uhr

Ein US-Richter hat verfügt, dass eine umstrittene, pandemiebedingte Abschieberegel an der Grenze zu Mexiko weiter gilt. Im texanischen Del Rio hat man für den Streit in Washington wenig Verständnis.

Der Grenzort Del Rio hat zwei Hauptstraßen, eine kleine Mall mit Shops und Restaurants. Rund 36.000 Menschen leben hier im Val Verde County, mitten im texanischen Nirgendwo, ein Steinwurf von Mexiko entfernt.

Die Polizeistation und das Büro des Sheriffs liegen direkt neben dem örtlichen Gefängnis. Ein Bau aus hellem Sandstein. Bungalodach. Draußen sind es 39 Grad. Drinnen knappe 20.

Ein verschlafenes Örtchen sei Del Rio, friedlich. Kriminalität gebe es kaum, sagt Sheriff Frank Joe Martinez. Der Mann ist fast zwei Meter groß, breite Schultern, braungebrannte Haut und ein fokussierender Blick. Martinez strahlt Autorität aus.

Aus der Abgeschiedenheit ins Rampenlicht

Bis vor einiger Zeit hätte selbst in Texas so gut wie niemand Del Rio auf der Landkarte gefunden, sagt der Sheriff. Spätestens seit September 2021 sei das anders.

Rund 18.000 Menschen warteten damals unter der Brücke, die die USA bei Del Rio mit Mexiko verbindet, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Polizei und Grenzschutz waren heillos überfordert. Es dauerte Tage alle Personen einzeln abzufertigen. Die meisten wurden zurückgeschickt.

"Titel 42" - kein Thema für die Flüchtlinge

"Titel 42", die Grenzschutzmaßnahme, durch die mit Verweis auf die Corona-Pandemie Asylsuchende an der US-Grenze ohne Verfahren abgewiesen werden können, war da schon über ein Jahr in Kraft.

Ob diese Regelung nun aufgehoben werde oder nicht, spiele daher keine Rolle. Die Menschen würden kommen - mit oder ohne "Titel 42" sagt, Sheriff Martinez.

Zu wenig Personal für den Grenzabschnitt

Dann geht es auf Tour mit seiner Stellvertreterin Gina Garcia, entlang der Grenze am Fluss Rio Grande, der beide Länder trennt. Ein langer Zaun aus schmalen Stangen schlängelt sich entlang des Ufers.

Rund 300 Menschen werden hier pro Tag vom Grenzschutz festgenommen und nach Mexiko zurückgebracht. Für fast 180 Kilometer sind der Grenzschutz und die Polizei im County Val Verde zuständig. Zu viel, um alles dauerhaft und lückenlos zu überwachen, sagt der Sheriff.

Unterbringung im Freizeitzentrum

Wer nicht zurückgeschickt wird, wird mit Bussen zu einem kleinen Freizeitzentrum am Rande von Del Rio gebracht. Es sind meist Kinder und Jugendliche ohne Eltern. Familien aus Haiti, Kuba, Venezuela oder Peru.

Freiwillige versorgen sie dort mit Wasser, Snacks, Mappen für ihre Unterlagen. Es gibt Waschbecken und Toiletten.

Drei Busse mit rund 150 Menschen sind gerade angekommen, als Karen Gleason, die in Del Rio seit Jahren lebt und als Journalistin arbeitet, erklärt, wie es für diese Menschen nun weitergeht.

Mehrmals am Tag kämen Busse, erläutert Gleason, die sie ins über 300 Kilometer entfernte San Antonio bringen. Und von dort gehe es per Flugzeug, Bahn oder Bus weiter, wohin auch immer sie wollten.

Die Stimmung am Center ist gelöst. Viele rufen freudig ihre Verwandten an. Kinder spielen auf einem Klettergerüst. Nichts sieht hier nach Krise oder sogar nach kriegsähnlichen Zuständen aus, von denen rechts-konservative US-Medien seit Wochen berichten.

Die Dramen spielen sich an der Grenze ab

Del Rio sei mitten in dieser Krise, aber man sehe das hier nicht. Die Krise und das Drama spielten sich nicht in Del Rio selbst ab, sondern davor an der Grenze, erklärt Gleason.

Dramen wie der Todesfall einer Mutter 2020. Ertrunken im Rio Grande, schwanger, mit Zwillingen. Wenn Sheriff Martinez davon erzählt, sucht er nach Worten, blickt unter sich, knetet seine Hände: Der 18. Januar habe sich deshalb in sein Gedächtnis eingebrannt als der Tag, an dem die Lage an der US-mexikanischen Grenze bei Del Rio zur Krise wurde.

Bei Del Rio (US-Bundesstaat Texas) überqueren Migranten den Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA

An dieser Stelle ist die Überquerung des Grenzflusses bei Del Rio verhältnismäßig ungefährlich. Doch im und um das Wasser spielen sich immer wieder Dramen ab.

Der politische Streit stört

Der politische Streit in Washington DC um die Aufhebung von "Title 42" spielt daher hier direkt vor Ort keine Rolle. Im Gegenteil. Er stört. Massiv. Er koste Menschen das Leben, sagt Sheriff Martinez.

Extrem Linke und extrem Rechte seien "so weit auseinander, dass sie niemandem helfen". Republikaner und Demokraten müssten dringend zusammenarbeiten, um das kaputte Einwanderungssystem wieder in Ordnung zu bringen.

Für parteipolitische Machtspiele und Wahlkämpfe mit der Grenzsituation als Thema haben die Menschen in Del Rio nur wenige Verständnis. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, die dramatischen Folgen, die sich dadurch an der Grenze ergeben, irgendwie in den Griff zu bekommen.

Florian Mayer, Florian Mayer, ARD Washington, zzt. Texas, 23.05.2022 09:45 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 23. Mai 2022 um 11:31 Uhr.