
Ein Jahr nach Bidens Amtsantritt Zunehmend hilflos
Mit viel Momentum war Joe Biden vor einem Jahr in seine Präsidentschaft gestartet. Nun, 12 Monate später, hat sich Stillstand breitgemacht - und noch schlimmer für den Demokraten: der Eindruck von Hilflosigkeit.
"Die Menschen da draußen unterstützen den amerikanischen Rettungsplan" - zufrieden und voller Tatendrang zeigt sich der neu gewählte amerikanische Präsident Joe Biden im März letzten Jahres, wenige Wochen nach seiner Inauguration. Bidens 1,9 Billionen Dollar teures Covid Konjunkturpaket ist zu dem Zeitpunkt hoch populär, auch bei republikanischen Wählern. Das hatte er mit Zustimmung der Opposition durch den Kongress gebracht - und es schien, Biden mit all seiner Erfahrung würde Trump vergessen machen.
Gleich in der ersten Woche hat er mit präsidialen Anordnungen ein großes Stück Trump-Politik rückgängig gemacht, und Professionalität scheint Einzug ins Weiße Haus zu halten. 61 Prozent Zustimmung bei den Amerikanern sind der frühe Lohn, und selbst der so skeptische linke Flügel kooperiert. "Er übertrifft unsere Erwartungen", sagt dann auch die linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. "Wir hatten eine viel konservativere Politik erwartet".
Biden preist frühe Erfolge
Biden aber prescht voran, verfolgt konsequent seine sozial- und klimapolitische Agenda. Im eigenen Rückblick zum Jahrestag stellt Biden denn auch die Erfolge des Anfangs in den Mittelpunkt. Die Impfkampagne läuft zunächst gut. Arbeitsplätze entstehen in ungekannter Geschwindigkeit, Arbeitslosigkeit ist niedriger als vor der Pandemie, mehr Amerikaner können sich eine Krankenversicherung leisten. Klimapolitik kommt wieder auf die Tagesordnung. Stolz ist er auch, dass die Regierungsmannschaft so divers zusammengesetzt ist, wie nie zuvor.
Plötzlich aber im Sommer tritt Stillstand ein, mit dem Tempo ist es vorbei, und politisch geht es bergab. Auf dem Schreibtisch des Präsidenten häufen sich nicht mehr Unterschriftenmappen mit Lösungen, sondern unlösbar gewordene Probleme: Chaos an der Grenze zu Mexico, immer mehr Menschen wollen über den Rio Grande und überfordern den Grenzschutz. Die für dieses Thema zuständige Vizepräsidentin Kamala Harris wirkt hilflos und Biden positioniert sich nicht.
Dann im Sommer der demütigende Abzug aus Afghanistan, Provokationen aus Russland nehmen zu und schließlich wird die Inflation zunehmend von den Menschen als Belastung empfunden. Die Preise steigen, vor allem Wohnen, Lebensmittel und Benzin werden immer teurer und fressen die gestiegenen Gehälter auf. Beim Kampf gegen die Pandemie geht es nicht voran, die Impfquote stagniert und ein Ende ist nicht in Sicht. Nur die Europäer sind zufrieden, sie haben endlich wieder einen Partner am Tisch, der auch gewillt ist, zu führen.
Republikaner müssen nur zuschauen
Innenpolitisch passiert etwas Unerwartetes: zwei Senatoren aus den eigenen Reihen blockieren konsequent Bidens Prestigeprojekte und machen ihn zur hilflos agierenden Marionette, die Republikaner müssen nur zuschauen. "Ich kann das einfach nicht verantworten", sagt Joe Manchin aus West Virginia ebenso wie seine Kollegin Kyrsten Sinema aus Arizona. Da geht es um Bidens Gesetzespaket für mehr Klimaschutz, mehr Sozialleistungen, mehr Chancengleichheit.
Wirtschaftspolitisch falsch, zu teuer, zu sehr Wohlfahrtsstaat, das die Beschwerden der demokratischen Senatoren, ohne die Biden keine Mehrheit hat, auch nicht beim Thema Wahlrechtsreform. Bei beiden Themen steht er bei der Parteilinken im Wort, die im Gegenzug das Infrastrukturpaket für bessere Straßen, modernes Stromnetz und schnelles Internet in Geiselhaft nimmt. Joe Biden wirkt zunehmend hilflos.
Partei-"Freunde" halten ihr Wort nicht
"Ich hoffe, aber weiß nicht, ob wir es hinbekommen", sagt er öffentlich. Es wird verhandelt und abgespeckt, ein Deal gefunden. Damit Biden seine Spuren bei Sozialem und Klimapolitik hinterlassen kann, stimmt die Linke dem Infrastrukturpaket zu. Dessen Unterschrift im Rosengarten des Weißen Hauses wird noch einmal zu einem Erfolg für Biden.
Es ist der letzte, denn die andere Seite in der eigenen Partei hält die Absprache nicht ein. Längst hätte er so etwas wie den "New Deal" des 21. Jahrhunderts feiern, eine durchmodernisierte und auf Zukunft ausgerichtete USA mit seinem Namen verknüpfen wollen, bevor es in die wichtigen Zwischenwahlen 2022 geht. Kostenlose Studiengänge, verlässliches Kindergeld für alle, Entlastung bei den Gesundheitskosten, Umbau der Energieversorgung, von all dem wird erst einmal nichts Realität. Monate Stillstand folgen, Mehltau breitet sich über die Regierung aus.
Inflation zerreißt Bidens Wirtschaftsbilanz
Wirtschaftlich geht es den USA im ersten Biden Jahr sehr gut. Die Arbeitslosigkeit sinkt dramatisch, das Wachstum stimmt, die Börse bringt Gewinne, von denen auch die heutigen und zukünftigen Rentner profitieren. Er bekommt aber keine Anerkennung dafür, sondern die Inflation zerreißt ihm die Bilanz. Sieben Prozent, das hat es seit 40 Jahren nicht mehr gegeben und die Menschen merken Tag für Tag, dass ihr Geld weniger weit reicht.
Jetzt, ein Jahr nach der Inauguration, finden nur noch 41 Prozent, dass Biden gute Arbeit leistet, 52 Prozent lasten ihm ihre Sorgen an. Von den letzten Präsidenten hatte nur Donald Trump etwas schlechtere Werte nach einem Jahr, nämlich 38 Prozent Zustimmung. Bill Clinton kam auf 47, Barak Obama auf 51. George W. Bush hatte wegen der Anschläge des 11. September über 80 Prozent der Amerikaner hinter sich.
Bidens Präsidentschaft in der Zwickmühle
Die Menschen erwarten, dass der Präsident etwas gegen die Inflation tut - und Joe Biden weiß, dass er nur mit einer stabilen Wirtschaft die Zwischenwahlen gewinnen kann. Die Instrumente sind begrenzt. Da sind höhere Zinsen, die die Notenbank FED ankündigt, aber das kann Hypothekenbesitzer schädigen und die Börse bremsen. "Verabschiedet endlich mein Paket, dann gibt es Arbeitsplätze", fleht Biden geradezu. "Dann geht auch die Inflation zurück".
Darin aber steckt ein Widerspruch, den auch seine Anhänger erkennen, Bidens Dilemma. Es gibt inzwischen nicht mehr zu wenige Arbeitsplätze, sondern zu wenige Arbeitskräfte. Nicht zu wenig Nachfrage ist das Problem, sondern Lieferengpässe und zu viel Geld im Markt treiben die Preise nach oben. Das große "Build Back Better"-Geldpaket war als ökonomisch-ökologischer Segen gedacht und sollte mit dem Namen Biden in die Geschichtsbücher eingehen. Jetzt muss er sich die Frage stellen, ob es nicht gut ist, dass die nächste Billion an geliehenem Staatsgeld später auf den Markt schwemmt. Noch mehr Geld, ohne dass das Angebot an Waren steigt, würde die Inflation noch weiter ansteigen lassen.
Auf der anderen Seite ist es dieses Programm, das zum Aushängeschild der Ära Biden werden sollte und das nur noch zum falschen Zeitpunkt Realität werden kann. Kommt es nämlich nicht, gilt Biden als Verlierer und schwacher Präsident, der nicht einmal die eigene Partei im Griff hat. Bekommt er die Stimmen doch noch, könnte es stattdessen zum wirtschaftlichen Sargnagel seiner Präsidentschaft werden.