
Migration in Arizona Wassertanks und weiße Kreuze
Vor den US-Zwischenwahlen machen die Republikaner auch mit dem Thema Migration Stimmung. Im Bundesstaat Arizona gibt es am Grenzzaun immer wieder Tote. Was daraus für die Politik folgen soll, sehen die Einwohner unterschiedlich.
Verängstigt, erschöpft und staubig sehen sie aus: Ein junges Paar kauert auf dem Boden, angestrahlt von den Scheinwerfern der großen Trucks der Grenzpolizei. Ein Beamter nimmt Personalien auf. Woher das Paar kommt und wohin es möchte, dürfen die Mitarbeiter einer Hilfsorganisation namens "Samariter", die die Szene von der anderen Straßenseite beobachten, nicht fragen.
Ein Suchhubschrauber kreist derweil über der Wüste Arizonas und beleuchtet Felsbrocken und Kakteen auf der Suche nach weiteren Flüchtlingen. Jeden Tag kommen mehr als 7000 Menschen am Grenzzaun zwischen Mexiko und dem US-Bundesstaat an und versuchen, ihn zu überwinden.
Bei denjenigen, denen es gelingt, sei Dehydrierung das größte Problem, erklärt Barry Gosling. Der 72-jährige Helfer von den "Samaritern" schleppt regelmäßig Wassercontainer in die Wüste. Denn tagsüber könne es im Grenzgebiet von Arizona mehr als 40 Grad Celsius heiß werden. Deswegen bewegen sich die meisten Flüchtlinge in der Dämmerung und nachts.
Dann sind aber auch die Wildtiere unterwegs: Berglöwen, Kojoten, tollwütige Waschbären und Schlangen. Die "Samariter" verteilen deshalb Wasser, wo häufig Migranten vorbeikommen, und patrouillieren in der Gegend. Michael Hyatt ist seit exakt 20 Jahren als Helfer dabei. Seit dieser Zeit steige die Zahl der Verzweifelten, die durch die Wüste kommen, konstant an.
Hyatt sagt, er wolle helfen, einen Unterschied machen. Deshalb dokumentiert er mit seiner Kamera alles: die Menschen, die zurückgelassene Ausrüstung und im schlimmsten Fall: die Leichen. Er habe in Vietnam als Marine gedient und sei schreckliche Bilder gewöhnt, erzählt der 76-Jährige.

Michael Hyatt engagiert sich seit 20 Jahren bei den "Samaritern". Er beobachtet einen kontinuierlichen Anstieg der Menschen, die versuchen, es aus Mexiko über die Grenze zu schaffen. Bild: Gudrun Engel
Das Ende der Träume
226 Menschen haben es allein an diesem Grenzabschnitt in der Nähe des Ortes Sasebe bislang in diesem Jahr nicht geschafft. Überall dort, wo Leichen gefunden werden, stellen die Hilfsorganisationen Kreuze auf. Das Ende der Träume nennen sie das - wenn wieder eine Hoffnung auf ein besseres Leben in den Vereinigten Staaten in der Wüste begraben wird.
Der mehr als neun Meter hohe Grenzzaun zwischen Arizona und Mexiko ragt rostig in den Himmel. 18 Milliarden Dollar hat allein der vorherige Präsident Donald Trump für seine Ambitionen ausgegeben, den Grenzzaun zu verlängern. Nur knapp 84 Kilometer wurden in seiner Amtszeit fertig. Noch gibt es in regelmäßigen Abständen Lücken - eigentlich, damit Wildtiere und Wasserläufe nicht behindert werden. Aber auch die sollen jetzt geschlossen werden.
Gut so, findet Sheriff Mark Lamb, der seinen Posten in Florence mit jeder Faser verkörpert: Der 50-Jährige trägt Cowboyhut und seinen Sheriffstern lässig am Gürtel. Wie die meisten Sheriffs in der Gegend ist er stolzer Republikaner. Zwölf Mal war er im Weißen Haus zu Gast, als Donald Trump Präsident war. Seit Joe Biden dort im Amt ist, habe er nichts mehr von der Regierung gehört, erzählt er. Sie habe diejenigen, die vor Ort Recht und Gesetz durchsetzen, quasi vergessen.

Sheriff Mark Lamb beim kollegialen Faustschlag mit seinen Mitarbeitern in Florence: Er ist Cowboy mit Leib und Seele. Bild: Gudrun Engel
Banden nutzen Migranten aus
Dabei hat nicht nur Trump den Mauerbau forciert. Auch unter George W. Bush und Barack Obama wurde an der Grenze fleißig gebaut: Mehr als 1000 der insgesamt 3145 Kilometer langen Grenzlinie sind mittlerweile versperrt.
Sheriff Lamb reicht das nicht aus. Er findet, die Mauer müsse schnell weiter gebaut werden. In den USA wird auch der Posten des Sheriffs alle vier Jahre per Wahl neu besetzt. Deshalb kann Lamb klar Position beziehen. Natürlich wolle auch er nicht, dass Menschen an der Grenze oder in der Wüste sterben. Aber er wolle auch verhindern, dass "Illegale, Kriminelle und Terroristen" unerkannt ins Land kommen, sagt er.
Seit Biden und die Demokraten in Washington regieren, hätten die Überquerungsversuche an der Grenze um 250 Prozent zugenommen, gibt der Sheriff zu Protokoll. Er ist für für 650 Deputy Sheriffs und Officers verantwortlich - und für das Gefängnis. 365 der 1100 Plätze sind gerade belegt.
Vor allem die Bandenkriminalität macht dem Sheriff Sorgen: mexikanische Drogenkartelle, die Flüchtende missbrauchen, um ihre Ware über die Grenze zu transportieren. Natürlich müsse man den Flüchtenden helfen, das gebiete die Menschlichkeit. Aber jeder der Helfer müsse sich eben auch bewusst sein, dass er damit die Kartelle unterstütze, sagt Lamb.

Bis zu 43 Grad Celsius heiß kann es in der Wüste werden - Aktivisten haben deshalb Trinkwassertanks an Stellen platziert, wo oft Migranten vorbeikommen. Bild: Gudrun Engel
Kreuze für die Toten
Um medienwirksam auf die dramatische Situation an der Grenze aufmerksam zu machen, schicken die beiden republikanischen Gouverneure von Arizona und Texas regelmäßig große Reisebusse mit Geflüchteten in die liberalen Großstädte an der Ostküste: nach Chicago, nach Washington oder nach New York. Dort hat der Bürgermeister mittlerweile sogar den Notstand ausgerufen, weil so viele Menschen in der Stadt ankommen.
Die Republikaner beherrschen den Wahlkampf mit den Themen illegale Migration und Kriminalität - Kampagnen mit der Angst der Menschen haben schon in der Vergangenheit Erfolg versprochen. Das Thema polarisiert stark: Die Demokraten versuchen, ein menschliches Amerika zu werben und fordern eine Migrationsreform. Die wollen auch die Republikaner, setzen dabei allerdings auf Abschottung.

Manchmal ist nicht einmal der Name bekannt: "Unbekannt" steht auf einem der weißen Kreuze, mit dem Aktivisten der toten Migranten gedenken. Bild: Gudrun Engel
"Wer soll denn dann unsere ganzen Drecksjobs machen?", fragt sich Robert Victor in der Stadt Douglas, weiter im Süden Arizonas und spielt auf die hohe Zahl von Migranten in schlecht bezahlten und unbeliebten Jobs in den USA an. Aber es geht ihm nicht nur darum.
Victor, der sich selbst als Konservativen bezeichnet, trifft sich jeden Dienstag mit vielen Mitstreitern zu einer Mahnwache am Grenzübergang zu Mexiko. Während genervte Autofahrer sich auf drei Spuren vor dem Grenzübergang stauen, legen die Mitglieder entlang der Straße weiße Kreuze nieder. Jedes trägt den Namen einer Person, die tot in der Wüste aufgefunden wurde und alle Informationen, die man zu ihr finden konnte. In diesem Jahr sind allein in Douglas schon 14 neue Kreuze dazugekommen.
Unter denen, die die Kreuze niederlegen, wählen einige die Demokraten, einige die Republikaner. Was sie eint, ist ihre Menschlichkeit: Sie wollen an alle erinnern, die den Weg in das erträumte bessere Leben in den USA nicht geschafft haben - damit sie nicht vergessen werden.
Diese Reportage sehen Sie heute in den tagesthemen - um 22.15 Uhr im Ersten.