Eine Frau in New York hält bei starkem Regen ein Handy in der Hand. | AP

Katastrophenschutz in New York Wenn jeder per SMS gewarnt wird

Stand: 21.07.2021 10:14 Uhr

Was in Deutschland noch diskutiert wird, ist in New York längst Praxis: die automatische Warnung vor schweren Unwettern per SMS. Das Verfahren funktioniert straßengenau und ohne Speicherung der Standortdaten.

Von Marc Steinhäuser, ARD-Studio New York

Vor Rebecca Baudendistel prangt eine digitale Landkarte mit allen Stadtteilen von New York. Die Leiterin der Behörde für öffentliche Warnungen kann per Mausklick auswählen, welche Gegenden informiert werden sollen - präzise genau bis zu einzelnen Straßenzügen. Gesundheits-, Unwetter- oder Amok-Alarm - all das kann Baudendistel per Meldung in maximal 360 Zeichen verbreiten. "Es ist unser Job, die Menschen zu informieren, damit sie lebensrettende Entscheidungen treffen können", sagt Baudendistel.

Marc Steinhäuser

In ihrer Behörde werden unter anderem so genannte Wireless Emergency Alerts (WEA) abgeschickt, also Notfall-Alarm-Meldungen aufs Handy. Zuletzt ging Ende Juni ein dringender Hitze-Alarm an alle New Yorker Einwohner. Darin wurden alle Haushalte aufgefordert, Waschmaschinen und Mikrowellen nicht mehr zu nutzen, um Energie zu sparen und einen Stromausfall zu verhindern. Binnen Minuten, so schildert es die Behördenleiterin, sei der Stromverbrauch stadtweit gesunken.

New Yorker Zentrale für den Katastrophenalarm | Marc Steinhäuser / ARD-Studio N

Von dieser Zentrale in New York werden die Warnung an die Bürger der Stadt verschickt - automatisch und standortgenau. Bild: Marc Steinhäuser / ARD-Studio N

Keine Speicherung von Standortdaten

Seit 2012 gibt es dieses System in den Vereinigten Staaten - auch der nationale Wetterdienst und die Sicherheitsbehörden können damit operieren. Auch für den US-Präsidenten gibt es eine eigene Warn-Kategorie. Alle Handybesitzer einer Region erhalten dann über ihre Mobilfunkanbieter eine automatische Notfallwarnung mit speziellem Alarmton. Dieser funktioniert unabhängig von einer App, ohne Anmeldung, und vor allem: ohne Speicherung von Standortdaten. Für Bürger sieht es aus wie eine SMS, die Textnachricht meldet sich wie eine SMS mit Alarm, doch technisch gibt es für diesen Notfall-Alarm eine Art Überholspur im Mobilfunknetz.

Baudendistel etwa schickt ihre Meldungen nicht an Telefonnummern - diese liegen ihr gar nicht vor. Sie leitet den Alarm an die lokalen Telefonanbieter und über deren Funkmasten an die Einwohner weiter. "Es ist egal, welchen Telefonvertrag jemand hat, der Alarm wird von allen Anbietern rausgegeben", erklärt sie. Dazu hatten sich in den USA die großen Telekommunikationsanbieter wie T-Mobile, AT&T oder Verizon freiwillig bereit erklärt.    

Rebecca Baudendistel | Marc Steinhaeuser/ARD-Studio New

Warnungen per SMS wirken schnell, weiß Rebecca Baudendistel als Leiterin der New Yorker Zentrale. Bild: Marc Steinhaeuser/ARD-Studio New

Erhebliche Investitionen erforderlich

Nach den dramatischen Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gibt es eine Diskussion darüber, wie man dieses so genannte Cell Broadcasting in Deutschland einführen könnte. Unterstützung für solche Pläne kamen unter anderem von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Doch angeboten wird dieses SMS-System in Deutschland bisher nicht.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) lässt die Einführung nun in einer Machbarkeitsstudie bis Herbst des Jahres prüfen. Die Startinvestitionen würden allerdings auf 20 bis 40 Millionen Euro geschätzt. Auch in den USA war das System nicht günstig: Mehr als 100 Millionen Dollar hatte der US-Kongress dazu beigesteuert.

Nur ein Teil des Werkzeugkastens

Dafür sind jetzt in der Krisenzentrale nur ein paar Klicks nötig, damit jeder Bürger per SMS gewarnt wird. Baudendistel beschreibt das Handy-Alarmsystem als ein Teil eines Werkzeugkastens. Auch Sirenen könnten dazugehören. "Man muss in Notfällen einfach alle Möglichkeiten ausschöpfen, um auf möglichst vielen Wegen die Menschen zu erreichen."

Die Stadt New York erlebte bereits einige Katastrophen: Die Terroranschläge vom 11. September 2001, extreme Schneeeinbrüche, den Wirbelsturm Sandy - oder auch die Gasexplosion von Wohnhäusern. Aus diesen Ereignissen habe die Stadt gelernt, sagt Behördenleiterin Baudendistel. "Krisenkommunikation endet nicht mit einem Notfall."

Danach wären weitere Hinweise nötig, etwa um Familien wieder zusammenzubringen. Nur eines dürfe man nicht tun: zu viele Meldungen abschicken - dann würde die Bevölkerung die Warnungen nicht mehr ernst genug nehmen.

Über dieses Thema berichtete Inforadio am 21. Juli 2021 um 08:09 Uhr.