Ein Arbeiter wählt frisch gepflückte Limetten in einer Verpackungsstation in Martinez de la Torre, (Bundesstaat Veracruz, Mexiko) aus
Weltspiegel

Kampf um Grundnahrungsmittel Mexikos "Limetten-Krimi"

Stand: 24.04.2022 15:25 Uhr

Limetten sind ein Grundnahrungsmittel in Mexiko. Doch die Bauern müssen sich zunehmend Banden und Kartellen erwehren, die es auf die Früchte und Felder abgesehen haben.

Um sechs Uhr abends wird es langsam dunkel in Hunucma auf der Yucatán-Halbinsel, und Limettenbauer David Medina schultert seine Flinte. Die Harrington, Kaliber 20, hat der 76-Jährige von seinem Großvater geerbt. Das Gewehr ist eine Antiquität, aber sie tut ihren Zweck. "Ich brauche sie, um meine Limetten zu verteidigen", sagt David Medina.

Zuletzt kamen immer wieder Diebe auf seinen Acker, um ihm die Bäume leer zu räumen. Die Limettenpreise sind zu Jahresbeginn in Mexiko so rasant gestiegen, dass sein zwei Hektar großer Acker ein kleines Vermögen wert ist. Fünf Limettenkisten werden ihm manchmal geklaut, das entspricht 5000 Pesos, rechnet Medina vor - umgerechnet 230 Euro. Nadelstiche, aber der Schaden läppert sich für den Kleinbauern.

Also harrt Medina auf seine alten Tage oft bis zum Morgengrauen aus und lauscht in die Nacht hinein, ob ihm irgendetwas verdächtig erscheint. Angst habe er so bewaffnet nicht, und ohnehin schieße er nur in die Luft. "Ich will ja keinen umbringen, die Diebe sollen nur wegrennen", sagt er.

David Medina

David Medina ist nicht auf gefährliche Schusswechsel aus - aber seine Limettenfelder will er doch schützen.

Eine ganz Familie patrouilliert

Zwei Autostunden weiter im Dorf Oxkutzcab hat Marcello Avila gleich eine Familien-Patrouille zusammengetrommelt: Sein Vater, der Bruder und Neffe leuchten mit Taschenlampen zwischen lange Reihen von Limettenbäumen. Auch hier haben Kriminelle schon mehrfach zugeschlagen. "In ihrer Eile reißen sie auch unreife Limetten mit herunter", klagt Marcello Avila. So zerstören sie die Limetten, die er im nächsten Monat ernten wollte.

Es ist ein Limettenkrimi, der Mexiko bewegt - alles, weil die Früchte derzeit so teuer sind. Die Bauern in Yucatan kämpfen gegen Diebe. Die Kunden ächzen wegen der hohen Preise. Limetten sind in Mexiko ein Alltagsprodukt, das zu fast jedem Gericht gereicht wird: Tacos, Eintöpfe, Fisch. 18 Kilogramm verbraucht jeder Mexikaner und jede Mexikanerin pro Jahr.

Mexikos "Limetten-Krimi" nach starken Preisanstiegen bei einem Grundnahrungsmittel

Marie-Kristin Boese, ARD Mexiko-Stadt, Weltspiegel

Da schmerzt es, wenn ein Kilo plötzlich drei- oder viermal so viel wie noch Ende 2021 kostet - bis zu 100 Pesos derzeit. Das wirkt zwar für deutsche Verhältnisse billig, aber der Mindestlohn liegt in Mexiko nur bei 172 Pesos täglich.

Im Internet nehmen es viele mit Humor und verbreiten Memes: Statt Geld werden Limetten ins Portemonnaie gestopft. Auf einem anderen Foto laden Sicherheitskräfte Limetten statt Banknoten in ein gepanzertes Auto.

Arbeiterinnen sortieren Limetten in einer Verpackungsstation in Martinez de la Torre (Bundesstaat Veracruz, Mexiko)

Diese Limetten sind nicht in die Hände der Mafia gefallen. Doch die Mexikaner müssen für sie immer mehr Pesos auf den Tisch legen.

Warum der Preis so rasant ansteigt

Es sei ein Bündel von Gründen, das zu dem Preisanstieg führt, erklärt Auch für die Großhändler ist der Preis zwischen Dezember 2021 und Januar 2022 um 50 Prozent gestiegen, wie Graciela De Paz Fuentes vom Großmarkt "Central de Abasto" in Mexiko-Stadt erzählt. Das führe dazu, dass Kunden die vorher fünf Tonnen kauften, ihre Einkaufsmengen halbiert hätten.

Ein Grund für den Preisanstieg sei die Jahreszeit, in der Limetten nicht überall geerntet werden können und knapp sind. Dann kämen noch ungünstige Wetterverhältnisse dazu - und steigende Preise für Dünger, zählt De Paz Fuentes auf.

Der Suchtrupp von Marcelo Avila und seiner Familie.

Marcelo Avila und seine Familie patrouillieren auch in der Nacht, um mögliche Diebe abzuschrecken.

Jahre der Kämpfe hinterlassen Spuren

Und dann ist da noch der Bundesstaat Michoacán. Eigentlich müsste in der Region im Westen Mexikos das limettengrün dominieren. Doch Tausende Hektar sind braun und vertrocknet. Über mehrere Jahre kämpften Kartelle untereinander und Dutzende Bauern gerieten ins Kreuzfeuer. In einigen Orten sind die Wände verlassener Farmen von Kugeln durchlöchert, auf den Feldern verrotten Traktoren, zehntausende Bäume vertrocknen und mit ihnen Limetten, die niemand mehr ernten wird, und die auf dem Limetten-Markt fehlen.

Hipólito Chavez dagegen macht weiter und bietet den Kartellen mit einer Bürgerwehr die Stirn. Er ist der Einzige, der dem ARD-Team in Michoacán ein Interview geben will. Jeder hier zahle direkt oder über Umwege Schutzgeld an die Kartelle, sagt Chavez. Die Kartelle verdienten so an den Limetten mit und bestimmten die Preise mit. Wer sich weigere zu zahlen, werde bedroht - oder sogar getötet.

"Die bringen Unternehmer um, mischen sich in die Limettenpreise ein. Sie überfallen einen, schreiben vor, wie viel wir an sie zahlen müssen." Im bewaffneten Kampf hat Chavez seinen Sohn verloren. Aufgeben kommt auch deshalb für ihn nicht in Frage.

Ein Limettenfeld in Mexico

Die Polizei unterstützt die Bauern

So gesehen, sagen die Bauern in Yucatán, sind sie froh, es nur mit Dieben zu tun zu haben und nicht mit Kartellen. Die örtliche Polizei der Gemeinde Oxkutzcab unterstützt ihre Wachtrupps. Polizeichef Nelson Avila hofft, dass die Preise bald etwas fallen und sich die Lage in der Gemeinde beruhigt.

Etwa fünf Limetten-Diebe gehen ihm pro Woche ins Netz und mit ihnen kiloweise Limetten. Eigentlich würden sie die Früchte gerne den Bauern zurückgeben. "Aber die Diebe verraten oft nicht, wo sie geklaut haben. Die behaupten, die Limetten gehören ihnen", sagt Avila.

Manche Täter greift die Polizei mehrfach auf, aber tun könne sie nur wenig. Die Diebe werden für 36 Stunden festgesetzt, quasi zur Abschreckung, dann lässt die Polizei sie laufen - zum Unmut der Bauern. Doch der Wert der geklauten Limetten sei dann pro Dieb doch viel zu gering für eine Anklage.

Nelson Avila und einige Bauern bewachen Limettenfelder in Mexiko.

Die Polizei unterstützt die Bauern, muss die Diebe aber oft wieder laufen lassen.

Hoffen auf höhere Mächte

Bei Limettenbauer David Medina ist die Nacht ruhig geblieben. Damit seine Ernte erfolgreich wird, hat er einen Schamanen gerufen. Zusammen bringen sie ihren Ahnen eine Opfergabe.

Auf einem kleinen Feuer verbrennen sie Blumen und Kräuter. "Wir glauben an diese Rituale aus der Maya-Kultur. Das macht uns ruhiger und bringt Glück für die Ernte." Und Medina bittet die Ahnen darum, dass sich die Preise einpendeln. So dass er genug verdient und bald wieder ruhig schlafen kann.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 24. April 2022 um 18:30 Uhr.