
Zwischenwahl in Mexiko Narco-Kandidaten und tote Konkurrenten
Der Wahlkampf vor den heutigen Zwischenwahlen in Mexiko war der gewalttätigste in der Geschichte des Landes. Drogenkartelle versuchen, ihre Macht auszubauen und töten Kandidaten. Unterwegs mit einer Politikerin im Wahlkampf.
Diana Hernández steigt aus ihrem schwarzen Wahlkampfwagen, hinter ihr parkt ein Fahrzeug der Polizei. Auf der Ladefläche stehen zwei schwer bewaffnete Sicherheitskräfte im Kampfanzug. Die Kandidatin geht von Tür zu Tür, wirbt für sich und ihre Morena-Partei. Sie klappert die Dörfer ab, besucht Veranstaltungen.
"Ohne den Begleitschutz wäre ich in viele der Orte, die wir besucht haben, nicht reingekommen", erklärt Hernández. Der Kandidat einer anderen Partei in der Gemeinde Chilapa de Álvarez, wo sie Station macht, sei mit Waffen bedroht worden.
Diana Hernández kandidiert im Bundesstaat Guerrero, der besonders stark von der Gewalt krimineller Banden und dem Geschäft mit den Drogen betroffen ist. Vor drei Jahren wurde ihr Vater, selbst Politiker, zusammen mit ihrer Mutter ermordet und dann im Auto verbrannt.
"Wir haben schon als Kinder Erfahrungen mit Gewalt und Verfolgung gemacht, wir haben mit der ganzen Familie in Frankreich im Exil gelebt, weil es Versuche gab, meine große Schwester und auch die jüngere zu entführen", erzählt sie. "Auf meine Mutter und mich wurde ein Pick-up gelenkt, um uns zu überfahren."

Drängt eine Bande nicht in Ämter, tun es andere
Es sind die umfangreichsten Wahlen in der Geschichte Mexikos. Rund 20.000 Ämter sind neu zu besetzen, darunter nationale Abgeordnetensitze, Gouverneursposten, Stadtrats- und Bürgermeisterämter.
Seit Beginn der Wahlkampagne sind mindestens 89 Politikerinnen und Politiker ums Leben gekommen, 35 davon waren direkte Kandidaten auf ein Amt. Obwohl das weniger Tote sind als im Wahlkampf 2018 ist es laut der Consulting-Firma Etellekt der gewaltsamste Wahlkampf in der bisherigen Geschichte Mexikos. Mehr als 780 Übergriffe wurden laut Behörden gemeldet.
Der amtierende Präsident, Andrés Manuel López Obrador, hatte zu seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren versprochen, die Gewalt in den Griff zu bekommen. Gelungen ist es ihm nicht. Es seien nicht die notwendigen Schutzmechanismen implementiert worden, um Kandidaten, Wahlen und Institutionen vor krimineller Infiltration zu schützen, kritisiert der Analyst der Crisis Group, Falko Ernst. Morde an Politikern würden kaum aufgeklärt.
"Für kriminelle Gruppen heißt das: Sie können weitestgehend ohne Konsequenzen in den Staat drängen und Institutionen in ihrem Interesse zurechtbiegen", sagt Ernst. Wenn die Gruppen dies nicht täten, drängten ihre Konkurrenten in die Ämter und verschafften sich dadurch Vorteile. "Es geht also um alles - und entsprechend rabiat ist die Vorgehensweise."
Hinter vielen Kandidaten: Druck der Drogenbanden
In Mexiko ist allgemein bekannt, dass unter den Gesichtern auf den Wahlplakaten auch das organisierte Verbrechen posiert. Die kriminellen Banden wollen ihren Einfluss im Drogenkrieg ausbauen, zwingen die Politiker zur Kooperation, zum Schweigen - oder stellen sogar eigene Kandidaten auf. Insbesondere Lokalpolitiker sind von den Drohungen und der Gewalt betroffen.
López Obrador bedauerte in seiner morgendlichen Pressekonferenz die Gewalt - aber es sei nicht so schlimm wie früher, und das könne er beweisen. Die offiziellen Zahlen scheinen ihn dabei weniger zu interessieren. Stattdessen kritisierte er, wie schon so oft, die Medien: "Sie wollen die Stimmung einfach nur aufheizen. Sowas nennt man Sensationalismus", behauptete er.
Für den mexikanischen Präsidenten ist es quasi eine Halbzeitbilanz: Drei Jahre hat er noch vor sich. Auch wenn seine Beliebtheitswerte seit seiner Wahl im Jahr 2018 gesunken sind, kann er nach wie mit zwischen 55 Prozent und 60 Prozent Zustimmung rechnen, wie es in dem jüngsten Report der Crisis Group heißt.
Dennoch werden López Obrador und seine Morena-Partei wohl Verluste hinnehmen müssen, da sich Teile der vorherigen Unterstützer in seinem zunehmenden Kurs der autokratischen Regierungsführung und der Militarisierung vor den Kopf gestoßen fühlten, meint Ernst.
Für viele Mexikaner ist er weiterhin die einzige politische Kraft, von der sie sich repräsentiert fühlen.
Wer sich gegen Gewalt stellt, wird kriminalisiert
Doch die Zustimmung nützt ihm nichts, wenn Morena-Kandidaten nicht ausreichend Ämter erlangen. Diana Hernández hofft, für die Partei einen Platz im Parlament Guerreros zu erlangen. Sie will sich gegen die Straffreiheit einsetzen: "Die Leute brauchen die Wahrheit und Gerechtigkeit", sagt sie. In Guerrero gebe es viele Fälle extremer Gewalt, seit Jahren verschwinden immer wieder Menschen. "Aber trotzdem habe ich die Hoffnung, dass die Dinge sich verändern können. Aber niemand geht das Problem an. Die Leute, die es tun, werden kriminalisiert."

Am Nachmittag besucht sie das Grab ihrer Eltern. Es ist der Geburtstag ihres Vaters. Zwischen den Gräbern steht einer der Sicherheitskräfte in voller Montur. Wer hinter dem Mord an ihren Eltern steckt, weiß sie bis heute nicht: Wirkliche Ermittlungen gebe es nicht. Hernández setzt alle Hoffnung in das argentinische Experten-Team, das auch in die Aufklärung des Verschwindens der 43 Studenten eingebunden war. Dafür hat sie gekämpft.
"Es gab kein Vertrauen in die Arbeit der hiesigen Ermittler", sagt sie. "Das Experten-Team war es, die die Autopsie vornahmen. Ich hoffe, dass wir dank ihrer Arbeit bald mehr Gewissheit darüber haben, was passiert ist."
Es ist nur ein kurzer Besuch. Schon setzt sich die Wagenkolonne mit Diana Hernández wieder in Bewegung. Nur wenig später ist die Meldung zu hören, dass zwei Kandidaten in Guanajuato und Chiapas umgebracht wurden.