
Brasilien Karneval illegal
Erstmals seit 1918 fällt in Rio de Janeiro der Samba-Umzug aus. Karnevalsfeten sind verboten - doch in den Vororten lebt die Tradition der "Bate-Bola"-Clowns erst recht auf.
Am Stadtrand von Rio de Janeiro - weit entfernt vom Zuckerhut und der Cristo-Statur - wirkt es am Wochenende so, als gäbe es keine Pandemie. Plötzlich beginnt in einem Vorort der Mittelklasse der Auftritt der "Bate-Bolas", der als Clowns verkleideten Ball-Schläger. An Lederschnüren haben sie Bälle befestigt, die sie nun mit voller Wucht auf den Asphalt schleudern. Dabei springen und laufen sie über die Straße zum Rhythmus eines schnellen Beats.
Die "Saida", der Auftritt der Ball-Schläger - eine weniger bekannte Karnevals-Tradition abseits der Samba-Schulen -, konnte auch ein Veranstaltungs-Verbot wegen der Corona-Pandemie nicht stoppen. Jonas dos Santos veranstaltet diese Umzüge seit 31 Jahren und schaut traurig auf die diesjährige Saida: "Das ist normalerweise ein magischer Umzug, bei dem die Straße voll mit Menschen ist. Jetzt ist kaum was los. Der echte Karneval fehlt uns", sagt er.

Ein "Bate-Bola" tanzt zwischen Autos und Passanten eine Straße entlang.
Sambaschulen in der Wirtschaftskrise
So wie Jonas denken viele Karnevalisten am Zuckerhut. Den Sambaschulen, die wie Kleinbetriebe organisiert sind, brechen Einnahmen weg. Viele Menschen sind nun von Sozialhilfen abhängig, weil ihre Jobs während der Karnevals-Saison wegfallen. Zum ersten Mal seit 1918 fällt der Karneval am Zuckerhut aus. Damals hatte die spanische Grippe Brasilien fest im Griff. Im Jahr darauf stellten die Einwohner von Rio laut Chronisten den wohl größten Karneval aller Zeiten auf die Beine.
Die Tradition der "Bate-Bolas" stammt aus Portugal, wo die Tänzer ursprünglich Rasseln statt Bälle schwangen. Bis heute hat sich diese Karnevals-Tradition in den Vierteln der Arbeiterklasse erhalten und gilt - im Schatten des deutlich bekannteren Samba-Karnevals im Sambodrom - als Veranstaltung im Untergrund, die plötzlich stattfindet. Wohl auch deshalb war es für die Polizei schwierig, diese explosiven Auftritte zu verhindern.
In Rio hat der neue Bürgermeister Eduardo Paes, in normalen Zeiten selbst ein Karnevals-Fan, alle Veranstaltungen ersatzlos gestrichen und strenge Kontrollen angedroht: Es werde ein "Katz-und-Maus-Spiel" geben, bei dem die Polizei Menschenansammlungen unterbinden werde.
Strandparties in Flamingo-Kostümen
Wie Paes es befürchtet hatte, kam es auch: Nicht am mondänen Copacabana-Strand, wo alle Straßenumzüge abgesagt wurden, sondern an den Stadträndern von Rio widersetzten sich viele Brasilianerinnen und Brasilianer dem Verbot, wohl auch, weil sie nach einem schwierigen Corona-Jahr eine Absage ihres wichtigsten Festes nicht hinnehmen wollten.
In Novo Iguaçu trafen sich vor allem junge Menschen in Flamingo-Kostümen oder mit Schwimmringen um den Bauch zu klandestinen Karnevals-Partys. Im Internet wurden Eintrittskarten dafür angeboten. Eine Polizeieinheit, die extra für illegale Feiern abgestellt wurde, löste das feucht-fröhliche Treiben kurze Zeit später auf. Sogar mit Tränengas trieben Polizisten die Menschen auseinander.
Rio de Janeiro ist die Stadt in Brasilien, die die meisten Corona-Opfer verzeichnet hat. Viele Menschen haben ihren Job verloren, öffentliche Schulen sind seit März geschlossen. Da erscheint der Karneval vielen im Land wie eine gute Gelegenheit, die Pandemie-Sorgen für einen Moment zu vergessen. Zumal viele von ihnen Antikörper besitzen, weil das Virus sich besonders in den ärmeren Vororten von Rio fast ungebremst ausbreiten konnte.

Ein kostümierter "Ballschläger" kommt in einem Vorort von Rio den Zuschauern ganz nah.
Umzug als Hommage an die Covid-Toten
Helber Oliveira hat Freunde verloren, die in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben sind. Als Leiter einer "Bate-Bola"-Gruppe wollte er dennoch nicht auf den diesjährigen Umzug verzichten. "Wir haben beschlossen, dass wir unsere Tradition auch in diesem Jahr fortführen. Denn die Covid-19-Opfer, die wir kennen, haben diese Tradition genossen. Dieser Umzug ist eine Hommage für sie", sagt Oliveira mit heiserer Stimme.
Um die Gefahr einer Ansteckung zu minimieren, treten Rios Ballschläger in diesem Jahr nur in einer einzigen Straße auf. Um sie herum sind kaum Menschen - anders als sonst, wenn Zuschauer dicht an dicht stehen. Während der weltweit bekannte Samba-Karneval in diesem Jahr ausfällt, trotzen die "Ball-Schläger" der Pandemie - und zünden am Ende noch ein Feuerwerk am Nachthimmel.
Es ist ein urtümlicher und uralter Karneval, der sich den Corona-Auflagen widersetzt. Der Rest von Rio de Janeiro dagegen wirkt in diesen Tagen ruhig und nüchtern. Die meisten Jecken schauen voller Hoffnung auf das kommende Jahr und drücken die Daumen, dass der Karneval 2022 das erste Fest nach der Corona-Pandemie sein wird.