Brandrodung
Reportage

Brasilien Die Stunde der Goldgräber und Viehzüchter

Stand: 09.08.2021 14:17 Uhr

In Brasilien soll illegale Landnahme nachträglich legalisiert werden. Das Gesetz bedroht Indigene, deren Reservate ohnehin immer öfter von Invasoren besetzt werden. Brasiliens Staat lässt sie häufig gewähren - auch aus Kalkül.

Von Matthias Ebert, Rio de Janeiro

Hinter einer Hügelkette steigt Rauch auf, während sich der Geländewagen auf unebenen Sandstraßen seinen Weg bahnt. Es handelt sich um einen der vielen kleinen Brände während der Trockenzeit im brasilianischen Bundesstaat Pará.

Nach stundenlanger Fahrt erreicht das ARD-Team das Ziel: das Dorf Vila Renascer. Ein staubiger Ort, der eigentlich nicht existieren dürfte, denn er liegt auf dem Gebiet des indigenen Apyterewa-Stammes, der im Urwald-Dickicht lebt. Deren Territorium genießt per Gesetz den höchsten Schutzstatus Brasiliens. Doch bei Ankunft wird schnell klar, dass der Staat hier - in Brasiliens Wildem Westen - kaum präsent ist.

Ein Schild mit der Aufschrift: Terra Protegida - Geschützes Gebiet

Das Gebiet der Apyterewa ist geschützt - so sagt es auch dieses Schild. Die illegalen Siedler kümmert das wenig.

Dutzende Holzhütten auf geschütztem Gebiet

Dutzende Holzhütten reihen sich aneinander. Dahinter eine Tankstelle, zwei Tante-Emma-Läden und ein Restaurant. Alles wurde illegal innerhalb von zwei Jahren auf dem Indigenen-Territorium errichtet. Auf einem Hügel hinter Vila Renascer steht das einzige legale Gebäude: der Kontrollposten von Brasiliens Indigenenbehörde Funai. Von hier aus sollen die Apyterewa und ihr Territorium eigentlich beschützt werden.

Doch der zuständige Beamte schüttelt über den Zaun hinweg den Kopf: "Ihr seht ja, was hier los ist: Ein Dorf mit 2000 Einwohnern. Ich habe lediglich zwei Polizisten als Unterstützung. Mit denen kann ich die Invasoren nicht vertreiben." Er wirkt genervt, will nicht, dass sein Name genannt wird.

Unten, im mit Holzbrettern verkleideten Restaurant von Vila Renascer, steht Antoneta Araujo am Herd und kocht Hühnchen mit Reis. Antoneta stammt aus einer ärmlichen Region 800 Kilometer östlich von hier. Vor einem Jahr folgte sie mit ihrem Mann dem Lockruf dieser Gegend und zog her. "Unser Restaurant wird eine Goldgrube, weil der Ort wächst. Viele Brasilianer kommen von weit entfernt hierher und stecken sich ein Grundstück ab, um zu arbeiten."

"So viel Reichtum im Boden"

Am Tisch kaut Joca Costa an einem Knochen. Er betreibt den größten Laden von Vila Renascer und macht damit gute Geschäfte. "Wenn sie unseren Ort legalisieren, dann geht es rund. Hier schlummert so viel Reichtum im Boden: Gold, viel Gold." Antoneta und Joca wissen, dass sie dieses Land illegal besetzt halten. Gleichzeitig hoffen sie, dass die Landnahme nachträglich legalisiert wird.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn unter Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat das Parlament Anfang August das Gesetz "PL 2633/2020" mehrheitlich auf den Weg gebracht. Es sieht die nachträgliche Legalisierung von Landraub vor. Sollte demnächst auch der Senat zustimmen, würde die kriminelle Abholzung des Regenwalds auf einen Schlag rechtmäßig werden. Die Europa-Abgeordnete der Grünen Anna Cavazzini befürchtet dann zukünftig "noch mehr Vernichtung des Urwalds, mehr Landkonflikte und eine Zunahme der Gewalt in Brasilien".

Die indigene Gemeinschaft der Apyterewa hatte sich schon vor Jahren aufgrund der Invasoren tief in den Urwald zurückgezogen. Weit weg auch von den unzähligen Goldgräbern, die im Reservat mit schwerem Gerät und unter Einsatz von Quecksilber den Urwaldboden aufreißen.

Brandrodung

Der Amazonas brennt - nicht nur eine Folge des Klimawandels, sondern auch eine Folge gezielter Brandrodungen, um Land zu gewinnen.

Auch eine Kirche wird gebaut

In der Hoffnung auf Legalisierung wird überall in Vila Renascer gebaut. Gerade entsteht eine evangelikale Kirche. Es ist bereits die sechste in dem kleinen Ort. Antoneta klagt, dass der katholische Priester nicht herkommen wolle, weil das Land illegal besetzt wurde. Deshalb gebe es auch weder eine Krankenstation noch eine staatliche Schule.

Damit sich das ändert, setzt der Sprecher der Besetzer, Paulo Viscente Lima, seine Hoffnungen nicht nur auf Jair Bolsonaros Gesetzesinitiative. Er kämpft auch vor Gericht für die vollständige Legalisierung von Vila Renascer. Das vor langer Zeit ausgewiesene Indigenenreservat der Apyterewa sei zu groß und müsse verkleinert werden, fordert Paulo. "Das Gutachten, welches die Grundlage für das Reservat bildet, muss nochmal überprüft werden. Denn wir wollen auch irgendwo leben. Das muss doch auf diesem Boden möglich sein."

Hochburg der Bolsonaro-Wähler

Die Bürgermeisterin der angrenzenden Gemeinde São Felix do Xingu unterstützt die Bemühungen, Vila Renascer nachträglich zu legalisieren. Denn das brächte ihr zusätzliche Wählerstimmen und Steuereinnahmen. Am Telefon hatte sie einem Interview zugestimmt. Kurz vor dem Treffen erhalten wir eine Absage.

Die Gegend im brasilianischen Bundesstaats Pará gilt als Bolsonaro-Hochburg. 2018 hatten hier 60 Prozent für den Präsidenten gestimmt. Sein Wahlkampf-Versprechen war, Reservate der Ureinwohner zur wirtschaftlichen Nutzung freizugeben. Viele Viehzüchter und Goldgräber sehen nach Jahren ihre Stunde gekommen - auch Ladenbetreiber Joca Costa.

Er macht schon jetzt gute Geschäfte dank der Goldgräber. Immer wieder halten einige von ihnen vor seinem Laden und decken sich mit Lebensmitteln, Werkzeugen und Motor-Öl für ihre Kettensägen ein. Dann fahren sie mit ihren Geländewagen tief hinein in den Urwald, dessen Schutz Verfassungsrang genießt. Doch in Brasiliens Wildem Westen hält sie keiner auf.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 07. Januar 2021 um 17:00 Uhr.