Polizisten in Brasilia | AP

Brasília nach den Ausschreitungen Protestcamp geräumt - 1500 Festnahmen

Stand: 10.01.2023 05:25 Uhr

Ein Protestcamp von Bolsonaro-Unterstützern in Brasília ist geräumt, 1500 Menschen wurden im Zusammenhang mit den Krawallen festgenommen. Doch Experten halten das Risiko weiter für hoch.

Von Paula Kersten, ARD-Studio Rio de Janeiro

Schiefe Igluzelte, halb eingestürzte Camping-Pavillons und wehende Plastikplanen: Viel bleibt in Brasília am Montagnachmittag nicht mehr von dem Camp, in dem Anhängerinnen und Anhänger von Ex-Präsident Jair Bolsonaros teilweise seit Monaten ausgeharrt hatten, um gegen die Wahl von Lula da Silva zu protestieren, und um das Militär zu einem Putsch zu bewegen.

Inmitten des Chaos' betet ein Mann laut, dann wendet er sich an die Presse: "Glaubt ihr wirklich, dass die Menschen hier das Chaos da unten angerichtet haben? Nein, das haben sie nicht. Diese Menschen hier sind friedliche, gute Menschen."

Protestcamp wurde geräumt

Nach dem Sturm auf das Regierungsviertel hatte der Oberste Gerichtshof angeordnet, das Camp vor dem Hauptquartier der Streitkräfte binnen 24 Stunden zu räumen. Im Zuge dessen wurden Medienberichten zufolge mehr als 1500 Personen festgenommen. Eine Frau steht auf einer leer gefegten Straße, trägt die brasilianische Nationalflagge als Cape um den Hals gebunden, ihr gegenüber eine Reiterstaffel: "Hört auf, kleine Puppen zu sein. Tut, was richtig ist. Tut Gutes, hört auf, Marionetten zu sein", ruft dem Militär zu.

Dessen Rolle beim Angriff auf das Regierungsviertel in Brasília ist umstritten. Präsident Lula erhob unmittelbar nach dem Angriff schwere Vorwürfe und sprach unter anderem davon, dass die Sicherheitskräfte fehlenden Willen gezeigt hätten.

Experte: "Fehler in der politischen Verantwortung für die Sicherheitskräfte"

Juliano Cortinhas ist Professor an der Universität von Brasília, und Experte für Sicherheit und Verteidigung. Er vermutet, dass die Sicherheitskräfte entsprechende Anweisungen von oben erhalten haben. Es habe keinen Befehl gegeben, den Protest zu beenden. "Es handelt sich auch um einen Fehler in der politischen Verantwortung für die Sicherheitskräfte. Das Risiko besteht weiterhin", sagt er.

Die Gouverneure der Bundestaaten befehlen die lokalen Sicherheitskräfte. Den Gouverneur des Bezirks um die Hauptstadt hatte das Oberste Gericht für 90 Tage vom Amt suspendiert. Er habe trotz deutlicher Hinweise auf gewalttätige Aktionen nichts unternommen, heißt es in der Begründung. Noch am Tag der Proteste hatte Lula den Sicherheitschef der Stadt Brasília aus ähnlichen Gründen entlassen. Beide standen Bolsonaro nahe.

Putschversuch wird auf der Straße abgelehnt

Viele Menschen in Brasilien lehnen den Sturm auf das Regierungsviertel ab. "Sie haben das Recht, zu demonstrieren, aber nicht das Recht, Dinge zu zerstören", heißt es in Rio de Janeiro auf der Straße. "Ich zerstöre ja auch nicht dein Haus, nur weil ich dich nicht mag." "Dieser ehemalige Präsident ist ein Idiot. Das sind schwierige Leute, aber die werden unter Kontrolle gebracht."

Vor diesem Hintergrund kann Experte Cortinhas den jüngsten Ereignissen bei aller Schwere auch etwas Positives abgewinnen: "Ich sehe in diesen Ereignissen auch eine Gelegenheit und eine Chance. Denn die öffentliche Meinung hat sich auf breiter Front für unsere Demokratie ausgesprochen und diesen Putschversuch scharf verurteilt."

Es scheint, als habe die brasilianische Demokratie sich wehrhaft gezeigt. Dennoch: Lula wird der Reform des Militärs in seiner Amtszeit möglicherweise mehr Aufmerksamkeit widmen müssen, als ursprünglich von ihm vorgesehen, so Cortinhas.

Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 10. Januar 2023 um 06:38 Uhr.