Interview

Interview zum Krieg in Afghanistan "Eine Niederlage ist ausgeschlossen, ein Sieg aber auch"

Stand: 02.09.2008 11:32 Uhr

Ein jahrelanger Krieg gegen afghanische Widerstandskämpfer - diese Erfahrung teilt Russland mit dem Westen. 1989 zogen sowjetische Truppen nach einer traumatischen Niederlage ab. Was kann der Westen daraus lernen? Darüber sprach tagesschau.de mit dem russischen Militärexperten Felgenhauer.

Ein jahrelanger Krieg gegen afghanische Widerstandskämpfer - diese Erfahrung teilt Russland mit dem Westen. Nach einem zehnjährigen Krieg gegen afghanische Widerstandskämpfer zogen die sowjetischen Truppen 1989 ab. Was kann der Westen aus dieser Erfahrung lernen? Darüber sprach tagesschau.de mit dem russischen Militärexperten Pawel Felgenhauer.

tagesschau.de: Die Rote Armee hat in Afghanistan eine schmerzvolle Niederlage erlitten. Wie schätzen Sie die Aussichten der NATO ein – können sie Taliban und Al Kaida besiegen? 

Pawel Felgenhauer: Wir sprechen über zwei völlig verschiedene Kriege. Der sowjetische Krieg von 1979 bis 1989 war Teil des Kalten Kriegs - eine Art Stellvertreterkrieg. Die sowjetische Armee und ihre lokalen Verbündeten kämpften nicht nur gegen den gesamten Westen, sondern auch gegen zahlreiche islamische Staaten und China. Die afghanischen Mudschaheddin bekamen von vielen Staaten die modernsten Waffen - nicht zuletzt die "Stinger"-Flugabwehrraketen. Das hat dem sowjetischen Militär massive Probleme bereitet, weil es die sowjetische Lufthoheit untergraben hat. Die Gefechte zwischen den Kriegsparteien waren heftiger, die Zahl der Toten war höher. Aufgrund der strategischen Niederlage in Afghanistan verlor die Sowjetunion den Kalten Krieg und fiel auseinander. Kaum vorstellbar, dass der NATO etwas ähnliches passieren könnte - sie wird sich wegen Afghanistan kaum auflösen.

Zur Person

Dr. Pawel E. Felgenhauer gilt als einer der führenden unabhängigen russischen Militärexperten. Er hat zahlreiche Analysen über die russische Verteidigungspolitik veröffentlicht. Felgenhauer schreibt unter anderem für die angesehene Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta.

Keine große Macht unterstützt die Taliban - auch Russland und auch Iran nicht. Sie sind also isoliert. Die Sowjetunion kämpfte im übrigen allein und bekam keine Unterstützung von den Warschauer-Pakt-Staaten. Der Westen kämpft mit Koalitionstruppen. Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Sieg über die Taliban in greifbarer Nähe wäre – im Gegenteil. Aber das wichtigste Ziel der westlichen Truppen, die Rückzugsgebiete von Al Kaida zu zerstören, ist erreicht worden. Sie können von Afghanistan keine Angriffe auf die USA mehr unternehmen.

"In strategische Falle gerannt"

tagesschau.de: Dennoch warnen Militärs, dass sich die Sicherheitslage gerade im Süden Afghanistans verschlechtert. Wiederholt die NATO Fehler, die auch das sowjetische Militär gemacht hat?

Felgenhauer: Der größte Fehler der sowjetischen Truppen war strategischer Natur. Wir sind in Afghanistan in eine strategische Falle gerannt. Das Grenzgebiet zu Pakistan und Iran wurde zur Basis der anti-sowjetischen Kräfte. Jetzt kann sich Al Kaida zwar in das Grenzgebiet zu Pakistan zurückziehen, aber dort ist es nicht so sicher wie damals für die Mudschaheddin. Das pakistanische Militär unterstützte sie aktiv, schoss sogar sowjetische Flugzeuge ab. Das ist heute anders. Damals war es ein Krieg zweier Blöcke auf dem Territorium von Afghanistan. Heute kämpfen Koalitionstruppen gegen ein Netzwerk radikaler Islamisten.

Natürlich hat die sowjetische Armee Fehler gemacht. Aber sie hat es auch geschafft, eine beachtliche, pro-sowjetische Armee aufzubauen, die sogar mehr Soldaten umfasste als die sowjetischen Truppen. Als die sowjetischen Truppen sich zurückzogen, hielt sich die pro-sowjetische afghanische Armee und kontrollierte Kabul noch, als es die Sowjetunion schon gar nicht mehr gab.

"Mehr Zusammenarbeit mit lokalen Führern"

tageschau.de: Gleichwohl stand am Ende ein schmählicher Rückzug der Roten Armee. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus dem Kriegsverlauf?

Felgenhauer: Die wichtigste Erkenntnis ist: Wenn man eine dauerhafte Lösung am Boden herbeiführen will, muss man schlagkräftige lokale Einheiten schaffen, die nach und nach die Konfrontation mit den islamischen Guerillas übernehmen. Das sieht man derzeit auch im Irak. Und man muss lokale Stammesführer finden, mit denen man Abkommen schließen kann, um mehr Stabilität zu schaffen. Afghanistan war bis zur sowjetischen Invasion ein stabiles Land mit einer feinen Balance zwischen den einzelnen Volksgruppen. Das hat die Revolution von 1978 und die nachfolgende Invasion zerstört. Seitdem ist das Land instabil. Afghanistan zu stabilisieren heißt: eine andere Machtverteilung zwischen den Ethnien zu finden.

tagesschau.de: Tun die Koalitionstruppen hierfür genug?

Felgenhauer: Im Moment sieht es nicht danach aus. Derzeit scheint es mehr darum zu gehen, die Taliban zurückzudrängen und zu verhindern, dass sie ganze Provinzen übernehmen. Da sind die Koalitionstruppen auch effektiv. Aber bei der Suche nach einer politischen Lösung sind sie nicht effektiv. Zu Beginn des Krieges haben die Koalitionstruppen sich auf lokale Warlords gestützt und dabei ignoriert, dass diese anfingen, massiv Opium anzubauen. Das hat eine Weile zur Stabilisierung des Landes beigetragen, zugleich aber auch die Entstehung einer kriminellen Wirtschaft gefördert. Das steht jetzt einer Normalisierung entgegen. So kann Afghanistan nicht zu einem entwickelnden Land werden. Das einzige, was es entwickelt, ist Opium.

Vorbild Irak

tagesschau.de: Im Irak haben die USA auf eine deutliche Aufstockung der Truppen gesetzt. In Afghanistan gibt es dagegen keine einheitliche Strategie. Die Bundeswehr setzt in Afghanistan - offiziell - auf das Konzept Wiederaufbau, die US-Truppen im Süden legen den Akzent dagegen auf das Militärische. Welches ist der beste Weg?

Felgenhauer: Die Deutschen haben sich einen besseren Platz ausgesucht. Die Usbeken und Tadschiken im Norden haben niemals die Taliban signifikant unterstützt. Die Paschtunen im Süden waren dagegen immer die dominierende Gruppe in Afghanistan, auch unter den Taliban. Deswegen geht es im Norden zwangsläufig stärker um Wiederaufbau, während man im Süden zwangsläufig Fraktionen der Paschtunen bekämpfen muss. Aber für eine dauerhafte Lösung im Süden braucht man ein tragfähiges Arrangement mit den Paschtunen. Man muss sie dazu bringen, sich gegen die Taliban zu stellen.

Ähnliches ist den USA zuletzt in einigen irakischen Provinzen im Kampf gegen Al Kaida ja auch gelungen. Natürlich könnte eine Truppenaufstockung auch helfen. Aber die Beschwörung des angeblichen Erfolgs der Truppenaufstockung im Irak ist auch ein Teil des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs. Ich glaube, die Stabilisierung des Iraks hängt mehr mit lokalen Absprachen zusammen.

tagesschau.de: Die Briten wurden in Afghanistan geschlagen, die Sowjetunion ebenfalls, und auch jetzt ist der Ausgang des Krieges nicht abzusehen. Wie dramatisch wäre es, wenn die NATO den Kampf in Afghanistan verlieren würde?

Felgenhauer: Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Der technologische Abstand zwischen den Koalitionstruppen und den Aufständigen ist enorm, und er wächst. In vorherigen Kriegen war der Abstand viel geringer. Briten und Afghanen hatten Gewehre; die Mudschaheddin hatten auch gute Waffen, über die die Russen nicht verfügten. Die Koalitionstruppen haben Tag und Nacht Luftunterstützung, sie verfügen über Präzisionswaffen und über satellitengestützte Informationen. Militärisch können die Taliban nicht gewinnen. Im direkten Kampf haben sie nicht den Hauch einer Chance und werden ausradiert. Das unterscheidet diesen von vorherigen Kriegen.

Ich glaube nicht, dass die Sowjetunion in Afghanistan taktisch geschlagen wurde. Aber strategisch wurde die UdSSR natürlich besiegt. Und die Briten haben ihren Krieg durch eine Übereinkunft mit einem lokalen Emir beendet, der das Land in ihrem Sinne geführt hat. Sie hatten eingesehen, dass es kontraproduktiv war, Truppen in Afghanistan zu lassen. Eine militärische Niederlage ist ausgeschlossen, aber ein militärischer Sieg ebenso. Der Sieg kann nur mit Abkommen mit einheimischen Kräften erzielt werden.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de