
Hildesheimer Hassprediger Abu Walaa - IS-Kämpfer im Irak?
Stand: 19.07.2017 16:34 Uhr
"Die Nr. 1 des IS in Deutschland": So bezeichneten Vertraute den 2016 festgenommenen Hildesheimer Islamisten Abu Walaa. Im September beginnt der Prozess gegen ihn - laut Anklage war er weit mehr als "nur" ein Anwerber für den Terror.
Von Lena Kampf und Andreas Spinrath, WDR
Bislang kannte man ihn als "Prediger ohne Gesicht". Sorgsam achtete er darauf, anonym zu bleiben. Trotz Hunderter Teilnehmer bei seinen Vorträgen, trotz Moscheeverein und eigener App - fast nie zeigten ihn Videos oder Fotos so, dass man sein Gesicht hätte erkennen können.
Wenn er außerhalb von Deutschland weilte, war der "Scheich von Hildesheim" weniger vorsichtig. Dort soll er auch als Kämpfer aktiv gewesen sein: Ein im Irak aufgenommenes Foto zeigt ihn mit einem Sturmgewehr Typ AK-47.
"Geistiger Vater" eines Netzwerks mit Verbindungen zum IS
Das Bild ist Teil der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft gegen den im November festgenommenen Iraker Ahmad Abdulaziz A., der als Prediger unter dem Namen "Abu Walaa" auftrat. Laut Behörden und Zeugen aus seinem Umfeld war Walaa der Deutschlandrepräsentant des selbsternannten "Islamischen Staates", ein Anwerber für den Terror, der Kopf und "geistige Vater" eines Netzwerks, das beste Verbindungen in den Irak und Syrien unterhielt.
In der Anklageschrift, die der WDR einsehen konnte, werden ihm nun unter anderem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die Finanzierung einer Straftat und die Aufforderung zu Verbrechen vorgeworfen.
An Kampfhandlungen beteiligt?
Besonders heikel: Offenbar kämpfte Abu Walaa auch selbst. Mit Zeugenaussagen, Telefondaten und Fotografien will die Bundesanwaltschaft belegen, dass er nicht nur in Deutschland für den "Islamischen Staat" aktiv war. Er habe mehrfach an Kampfhandlungen teilgenommen, die letzte Reise soll ihn im Mai und Juni 2015 in den Irak geführt haben.
Zudem sei er ein enger Vertrauensmann von Abu Mohammad Al-Adnani gewesen, der bis zu seinem Tod als Chef des IS-Geheimdienstes und der Propagandaabteilung der Terrororganisation galt. Al-Adnani gilt als Stratege hinter den IS-Anschlägen in Europa, er soll ein "Büro für externe Operationen" geleitet haben.
Aussage eines Schützlings entscheidend
Die Anklage stützt sich im Besonderen auf Aussagen von Personen aus dem Umfeld von Abu Walaa. So finden sich in ihr zahlreiche Informationen von "Vertrauenspersonen", die zum Teil sehr detailliert berichteten, wie der im nordrhein-westfälischen Tönisvorst lebende Iraker agierte.
Trotz lang anhaltender Ermittlungen war es aber die Aussage eines ehemaligen Schützlings des Predigers, die den Ermittlungen die entscheidende Wende gab: Anil O. war im August 2015 nach Syrien gereist und hatte sich dem IS angeschlossen. Bei seiner Rückkehr nach Deutschland ließen ihn die Behörden festnehmen - und er packte über seine Zeit in Abu Walaas Hildesheimer Moscheeverein aus, über die Methoden des Netzwerks um den Prediger und dessen Verbindungen zum IS. Zuvor hatte Anil O. WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" in der Türkei ein Interview gegeben.
Verfahrensakte füllt Hunderte Ordner
Vier der Männer aus Abu Walaas Zirkel sind mit ihm angeklagt. Zweien, dem Dortmunder Boban S. und dem Duisburger Reisebüroinhaber Hassan C. wird vorgeworfen, in mehreren Fällen die Ausreise von jungen Männern in den IS organisiert zu haben. So habe Boban S. die Schleusung der Zwillinge Mark und Kevin K. aus Castrop-Rauxel im August 2014 organisiert. Offenbar mordeten beide später als Selbstmordattentäter für den IS.
Dass die Akten des Verfahrens mittlerweile Hunderte Leitz-Ordner füllen, liegt auch daran, dass der Name "Abu Walaa" immer wieder eine Rolle spielt, wenn es um Ermittlungen im islamistischen Milieu geht.
So finden sich in der Anklage neben den Namen von zahlreichen ausgereisten und mutmaßlich von Abu Walaa rekrutierten IS-Kämpfern auch Informationen zu den Attentätern auf den Essener Sikh-Tempel im April 2016. Nur drei Wochen zuvor, am 25. März 2016, hätten zwei der Attentäter an einem Osterseminar des Predigers teilgenommen.
Verbindungen zu Anis Amri
Das Netzwerk um Abu Walaa hatte zudem Berührungspunkte mit Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz. Ein Jahr vor dem Anschlag in Berlin soll der Prediger mit Amri ein 30-minütiges Gespräch unter vier Augen geführt haben. Inhalt? Unbekannt.
Der Prozess soll am 19. September am Oberlandesgericht Celle beginnen. Ob Abu Walaa zu diesen Punkten auf der Anklagebank Stellung nimmt, ist fraglich.