Die Richter des OVG in Münster
analyse

Niederlage gegen Verfassungsschutz Ein bitteres Urteil für die AfD

Stand: 13.05.2024 14:41 Uhr

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat sein Urteil gesprochen: Die Berufung der AfD wird zurückgewiesen, die Einstufung als "Verdachtsfall" war rechtens. Was folgt daraus?

Von Martin Schmidt, ARD Berlin und Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Die Entscheidung war eindeutig: Berufung zurückgewiesen. Die AfD unterliegt vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG). Es gebe hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, "dass die Partei Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet" seien.

Damit meint der Senat vor allem: Menschen mit Migrationsgeschichte, Ausländer, die in Deutschland leben, und bestimmte deutsche Staatsbürger. Es bestehe der begründete Verdacht, "dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspreche", diesen nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen.

Keine Staatsbürger erster und zweiter Klasse

Genau das aber deckt sich gerade nicht mit dem Grundgesetz. Denn das kennt keine Staatsbürger erster und zweiter Klasse. Außerdem deuten Äußerungen der Partei auf eine Missachtung der Menschenwürde von Flüchtlingen und Muslimen hin. Mehrere Tausend Beweise präsentierte der Bundesverfassungsschutz dem Gericht. Sie reichten dem Senat aus, um eine Einstufung als Verdachtsfall zu begründen. Schon in erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Köln genauso entschieden.

Das OVG unterstrich heute, dass es in diesem Verfahren ausschließlich um die Befugnis ging, ganz genau hinzuschauen. Also darum, ob es ausreichend Anhaltspunkte gebe, die einen Verdacht zunächst rechtfertigten. Bloße Spekulationen oder Vermutungen ohne Faktenbasis reichen dafür nicht.

Was folgt aus dem AfD-Urteil?

Iris Sayram, ARD Berlin , tagesthemen, 13.05.2024 22:15 Uhr

Mit einem Beispiel veranschaulichte das der Vorsitzende Richter: Wenn die Polizei zu einer Wohnung gerufen werde, in der ein Rauchmelder Alarm gebe und niemand öffne die Tür, dann dürfe die Polizei in die Wohnung eindringen. Denn es seien Rechtsgüter von hohem Wert - Leib und Leben - bedroht. Sollte sich dann herausstellen, dass es gar nicht brenne, müsse die Polizei zwar die Wohnung wieder verlassen, aber an dem Verdacht zuvor ändere sich nichts. Und der Rauchmelder der Demokratie, um im Bild zu bleiben, habe eben ausgeschlagen - bezogen auf die AfD.

Kein Automatismus zur nächsthöheren Einstufung

Mit der Einstufung als Verdachtsfall geht einher, dass die Verfassungsschützer grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen dürfen - also beispielsweise V-Leute anwerben können, bezahlte Informanten aus dem Umfeld der Partei.

Einen Automatismus, nach dem nun auch eine Einstufung der Gesamtpartei in die nächsthöhere Stufe "gesichert extremistische Bestrebung" zwangsläufig ist, gibt es laut Gericht aber ausdrücklich nicht. Sollte das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Zukunft diesen Schritt gehen, kann sich die AfD dagegen wiederum in einem neuen Verfahren wehren.

Das Oberverwaltungsgericht ließ die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nicht zu. Denn rein juristisch betrachtet komme dem heutigen Urteil keine besondere Bedeutung zu. Es weiche auch nicht von anderslautenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab. Die politische und gesellschaftliche Relevanz, also die Gesprächswertigkeit, spielt für die Zulassung der Revision keine Rolle.

Für die AfD ist das Urteil bitter

Die AfD kann aber noch Nichtzulassungsbeschwerde einlegen und so versuchen, den Weg nach Leipzig doch noch zu eröffnen. Die Partei wird diesen Weg wohl wählen, darauf deuten erste Äußerungen hin. Was bleibt ihr anderes übrig?

Denn für die AfD ist das Urteil bitter: Seit langem versucht sie dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu unterstellen, es agiere rein politisch, um die AfD als starke Oppositionspartei zu bekämpfen. Schon das Urteil des Verwaltungsgerichts in Köln war jedoch so eindeutig für den Verfassungsschutz ausgegangen, dass diese Erzählung Risse bekam.

Nun die nächste Instanz: Wieder ein faires Verfahren, wieder ein unabhängiges Gericht und wieder wird die Verschwörungstheorie der AfD widerlegt. Sie haben das in der Partei geahnt. Schon zu Beginn der Verhandlung war aus der Führungsspitze zu hören, sie würden nicht an einen für sie positiven Ausgang glauben. So ging es hier für die AfD lange darum, auf Zeit zu spielen. 

Partei wollte Urteil hinauszögern

Die Idee: Kein Urteil mehr vor der Europawahl. Das könnte zum einen Stimmen vor allem in den West-Bundesländern kosten, in denen das Urteil des Verfassungsschutzes ernster genommen würde, meinte man in der AfD. Zum anderen deutet sich an, dass der Verfassungsschutz nach einem erfolgreichen Verfahren noch einen Schritt weitergehen könnte, also die gesamte Partei als gesichert rechtsextrem einstufen würde. Auch das sollte möglichst vor der Europawahl verhindert werden.

Doch dann lehnten die Richter in Münster am fünften Verhandlungstag alle 470 Beweisanträge als unerheblich ab, und das Urteil ließ sich nicht mehr ewig aufschieben.

Umfragewerte sind nicht eingebrochen

Und noch etwas ist seitdem passiert: Erst legten Recherchen nahe, dass russische Gelder an Top-AfD-Kandidaten für die Europawahl geflossen sein könnten. Dann wurde auch noch ein mutmaßlicher chinesischer Spion beim Spitzenkandidaten selbst festgenommen. Einigen in der AfD war das nun genug der schlechten Meldungen, da brauche man dann auch nichts mehr aufzuschieben, hole sich lieber noch die nächste Klatsche ab. "Schlimmer geht's doch gerade eh nicht mehr", heißt es von einem Teil des Bundesvorstands. "Die Leute können das eh nicht mehr hören", verharmlosend vom anderen.

Ob das Desaster um die Spitzenkandidaten oder auch das nächste verlorene Gerichtsverfahren: Tatsächlich sind die Umfragewerte der AfD zwar in den vergangenen Monaten zurückgegangen, aber von einem Einbruch lässt sich bisher nicht sprechen. Zumal unklar ist, inwieweit auch die neue Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht Stimmen kostet. Es scheint, als habe sich die AfD einen großen Wählerstamm erarbeitet, der losgelöst von extremen Tendenzen zu ihr hält - oder vielleicht ja auch deswegen. 

Neue Verschwörungserzählungen der AfD

So ist es auch wenig überraschend, dass die Partei auf das Urteil in Münster mit neuen Verschwörungserzählungen reagiert - es darf nicht sein, was nicht sein darf. Von einer "Prozesssimulation" schreibt die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Beatrix von Storch, sogar von einem "Unrechtsurteil".

Ihr Kollege aus dem Fraktionsvorstand, Sebastian Münzenmaier, knüpft nahtlos an die alte widerlegte Geschichte an, bezeichnet den Verfassungsschutz weiter verächtlich als "Regierungsschutz". Von "hörigen Richtern" schreibt der AfD-Landeschef aus Sachsen-Anhalt, Martin Reichart. Die Liste lässt sich weiter fortsetzen. Als hätte es die sieben langen Verhandlungstage nicht gegeben. 

Verfassungsschutz prüft Urteilsbegründung

Der Verfassungsschutz wird all dies aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Vermutlich fließt es in weitere Gutachten ein - denn auch das verächtlich machen der demokratischen Ordnung, des Rechtsstaates, ist ein Grund für die Beobachtung der AfD.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, ließ sich in einer ersten Reaktion auf das Urteil nicht in die Karten schauen, ob nun zeitnah eine Höherstufung der AfD als "gesichert rechtsextrem" folgen könnte. Einige Experten gehen schon länger genau davon aus. Nach Medienberichten soll ein dafür nötiges Gutachten beim Verfassungsschutz bereits in Arbeit sein.

Haldenwang erklärte lediglich, es sei gesetzlich geboten, in regelmäßigen Abständen die Einstufung zu überprüfen und daraus könne auch eine Hochstufung erfolgen. Sein Amt wolle vor weiteren Schritten aber auf die schriftliche Urteilsbegründung warten und diese prüfen. Bis diese vorliegt, werden einige Wochen vergehen.

AZ: 5 A 1218/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1216/22

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 13. Mai 2024 um 10:00 Uhr.