Beschluss des georgischen Parlaments Westen fordert Rücknahme von "Agenten-Gesetz"
Der Druck auf Georgiens Regierung wächst: Nach der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes zur Kontrolle von Medien und NGOs fordern Vertreter der EU, der USA und der NATO Tiflis auf, den Kurs zu ändern. Die EU droht mit Konsequenzen.
Georgien würde gerne EU-Mitglied werden, doch mit dem Umstrittenen "Agenten-Gesetz", welches das Parlament gestern beschlossen hatte, verbaut sich das Land nach Aussage von EU-Vertretern den Weg in die Union. "Die Verabschiedung dieses Gesetzes wirkt sich negativ auf die Fortschritte Georgiens auf dem Weg in die EU aus", teilten der Außenbeauftragte Josep Borrell und der zuständige Kommissar Oliver Varhelyi in einer gemeinsamen Mitteilung mit.
Die Entscheidung über die weitere Richtung liege in Georgiens Händen. "Wir fordern die georgischen Behörden nachdrücklich auf, das Gesetz zurückzuziehen, ihr Bekenntnis zum EU-Beitritt aufrechtzuerhalten und die in den neun Schritten beschriebenen notwendigen Reformen voranzutreiben."
"Gesetz stimmt nicht mit Normen und Werten der EU überein"
Weitere Schritte in Richtung Beitritt erforderten nach den Vorgaben der 27 Mitgliedstaaten, "dass die Menschenrechte geschützt werden und die Zivilgesellschaft sowie die Medien frei agieren können", betonten die EU-Vertreter. Notwendig seien auch Maßnahmen gegen Polarisierung und Desinformation.
Zu dem gestern verabschiedeten Gesetz "über die Transparenz ausländischer Einflussnahme" hieß es, die EU habe "deutlich und wiederholt klargestellt, dass Geist und Inhalt des Gesetzes nicht mit den grundlegenden Normen und Werten der EU übereinstimmen". Die geplante Regelung, nach der sich aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen sowie Medien als Vertreter "ausländischer Interessen" registrieren lassen müssen, würde die Arbeit der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien untergraben sowie die Grundrechte der Vereinigungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung einschränken.
Wie die Financial Times berichtete, wolle die EU den weiteren Prozess auf dem Weg Georgiens zu einer Mitgliedschaft auf Eis legen, sollte das Gesetz tatsächlich in Kraft treten. Seit Ende Dezember 2023 ist das Land Beitrittskandidat.
Kritik auch von NATO und UN
Auch die NATO kritisierte die Verabschiedung des Gesetzes als einen Schritt in die falsche Richtung. Dieser bringe das Land weiter von europäischer und euro-atlantischer Integration weg, schrieb eine Sprecherin des Bündnisses auf der Plattform X. "Wir fordern Georgien dringend auf, seinen Kurs zu ändern und das Recht auf friedlichen Protest zu respektieren."
Der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk äußerte tiefstes Bedauern über die Verabschiedung des Gesetzes. "Die Auswirkungen auf das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit könnten nun leider erheblich sein." Türk kritisierte das Gesetz als zu weit gefasst. Es berge die Gefahr, Nichtregierungsorganisationen zu stigmatisieren, die sich mit "einer Atmosphäre des Misstrauens, der Angst und der Feindseligkeit" konfrontiert sehen könnten. Zudem könne die Registrierungspflicht eine abschreckende Wirkung auf NGOs haben und ihre Aktivitäten erheblich einschränken.
Das Gesetz sorgt seit Wochen für Massenproteste auf den Straßen von Tiflis und anderen georgischen Städten. Kritiker sehen darin eindeutige Parallelen zum Gesetz gegen "ausländische Agenten" in Russland, das es den dortigen Behörden ermöglicht, massiv gegen kritische Medien und Organisationen vorzugehen.
Druck auch seitens der USA
Zuvor hatte bereits das US-Außenministerium die Regierung in Tiflis dazu aufgerufen, den mit dem Gesetz eingeschlagenen politischen Kurs zu verlassen. "Unserer Ansicht nach muss die georgische Regierung den Kurs, auf dem sie sich befindet, ändern", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel.
Patel verwies auch auf Umfragen, wonach sich 80 Prozent der Georgier einen Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union wünschen. Auch habe die Regierung in Tiflis den Wunsch danach sowie nach Beziehungen mit transatlantischen Organisationen wie der NATO geäußert. "Dinge wie dieses Gesetz passen mit diesen Zielen nicht zusammen", sagte Patel.
Das Weiße Haus äußerte sich ebenfalls tief besorgt über die Verabschiedung des Gesetzes. Sprecherin Karine Jean-Pierre sagte, die USA seien angesichts dieser Entwicklung verpflichtet, ihre Beziehungen zu Georgien grundlegend zu überdenken. Die US-Regierung rechne mit einem Veto von Staatspräsidentin Salome Surabischwili. "Wir werden sehen, was das Parlament dann macht", sagte Jean-Pierre.
Die pro-europäische Präsidentin hatte bereits angekündigt, ein Veto gegen das Gesetz einzulegen. Die Regierungspartei verfügt aber über genügend Abgeordnete im Parlament, um sie zu überstimmen. Surabischwili will sich heute mit den angereisten Außenministerinnen und Außenministern aus Lettland, Litauen, Estland und Island treffen.
Deutsche Stiftungen warten Entwicklungen ab
Die großen deutschen politischen Stiftungen, die Gefahr laufen, unter das neue Gesetz zu fallen, wollen zunächst die weiteren Entwicklungen in Georgien abwarten, bevor sie über die Konsequenzen für ihre Arbeit im Land entscheiden. Die Heinrich-Böll-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und die Konrad-Adenauer-Stiftung sind mit insgesamt etwa 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Georgien vertreten.
Ein Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung sagte auf Nachfrage der Nachrichtenagentur KNA, bevor Surabischwili nicht ihr Veto eingelegt und das Parlament sie nicht überstimmt habe, sei es noch zu früh, eine belastbare Aussage zu den Auswirkungen des Gesetzes auf die Stiftung zu treffen. Grundsätzlich seien die Formulierungen im Gesetzestext sehr vage, und es sei unklar, wie weitgehend sie die Stiftung betreffen werden, fügte der Sprecher hinzu. "Wir werden auf jeden Fall in Georgien weiterarbeiten und erwägen gegenwärtig nicht, unsere Programme herunterzufahren."
Auch die Büroleiterin der Böll-Stiftung, Sonja Katharina Schiffers, sprach von einer sehr dynamischen Lage. Es bleibe abzuwarten, ob internationaler Druck und öffentliche Proteste im Land die Regierungspartei zu substanziellen Änderungen bewegen könnten. Die Böll-Stiftung werde ihre Partner im Land weiter nach Kräften unterstützen.