Analyse von Patientendaten Mehr Demenz-Fälle nach Virusinfektionen?

Stand: 24.01.2023 12:07 Uhr

Virusinfektionen können den Körper langfristig schwächen, in seltenen Fällen entsteht ein chronisches Erschöpfungssyndrom, möglicherweise auch Demenz. Eine Studie findet Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang.

Von Von Pascal Kiss, SWR

Die Analyse von 800.000 Patientendaten im Fachjournal Neuron zeigt auf den ersten Blick einen klaren Zusammenhang: Personen mit einer überstandenen Virusinfektion hatten bis zu 15 Jahre danach ein höheres Risiko, an neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz, Parkinson, Alzheimer oder Multipler Sklerose zu leiden. Hatten Menschen eine Lungenentzündung, eine starke Grippe oder Gehirnentzündung war das Risiko für Demenz-Erkrankungen erhöht.

Doch was ist die Ursache? Können frühere Virusinfektionen wirklich eine Demenz auslösen? Oder sind Patienten mit beeinträchtigten Hirnfunktionen einfach insgesamt anfälliger für Virusinfektionen? Genau diese wichtigen Fragen kann die Studie nicht beantworten. Das Forschungsteam beobachtete nur, dass Menschen mit überstandenen Infektionen häufiger an Demenz oder Alzheimer erkranken - aber was jeweils die Ursache ist, kann bei solchen Auswertungen von Patientendaten nicht hergeleitet werden.

Infizieren sich Demenz-Patienten häufiger?

Es kann sein, dass Patienten mit Demenz insgesamt häufiger an Virusinfektionen erkranken - auch so könnte der beobachtete Zusammenhang in der Studie entstehen. So gibt es Hinweise, dass die Krankheit Alzheimer schon 20 Jahre vor den ersten Symptomen im Körper ausbricht. Die Studie schaut aber nur auf die letzten 15 Jahre. Es kann also sein, dass einige Patienten schon zum Zeitpunkt der Virusinfektion unbemerkt an Demenz oder Alzheimer erkrankt sind, sagt der Neurobiologe Martin Korte von der TU Braunschweig: "Zumindest bei einem Teil der Menschen."

Dafür spreche auch eine Beobachtung während der Corona-Pandemie, so Korte: Menschen, die schon vor einer Infektion an Alzheimer erkrankt waren, haben ein höheres Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf. So kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass Alzheimer-Patienten insgesamt ein schwächeres Immunsystem haben und deswegen häufiger mit Infektionen zu kämpfen haben.

Warum Viren Demenz auslösen könnten

Viel spricht aber auch dafür, dass bestimmte Virusinfektionen tatsächlich das Gehirn langfristig schwächen können, sodass neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer wahrscheinlicher werden. Das zeigen gleich mehrere Studien mit Mäusen, sagt Korte: "Wir konnten bereits 2018 zeigen, dass insbesondere eine Grippeinfektion auch das Immunsystem im Gehirn aktiviert." Mikrogliazellen, also die Immunzellen im Gehirn, könnten so das Nervensystem über Monate schädigen, so der Verdacht des Neurobiologen.

"Auch da gibt es Daten aus der Corona-Pandemie", sagt Korte und verweist auf eine Studie des Fachjournals Nature. Alzheimer-Patienten hatten ein besonders stark gealtertes Gehirn, wenn sie mit einem schweren Covid-19-Verlauf zu kämpfen hatten. Außerdem beobachtete eine Science-Studie, dass eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus die neurologische Krankheit Multiple Sklerose auslösen kann. Beide Studien liefern Hinweise, dass Virusinfektionen tatsächlich neurodegenerative Erkrankungen auslösen können. Bei Demenz- und Alzheimer-Patienten konnte so ein direkter kausaler Zusammenhang aber bisher nicht beobachtet werden.

Vergleich zwischen Finnland und Großbritannien

Die Studie vergleicht die Patientendaten aus zwei verschiedenen Ländern - von Finnland und Großbritannien. Die Analyse der finnischen Daten hat 45 mögliche Zusammenhänge zwischen einzelnen Viruserkrankungen und verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer ergeben.

Beim Vergleich mit den Daten aus Großbritannien haben sich aber nur 22 der 45 Zusammenhänge bestätigt, sagt Neurologe Klemens Ruprecht von der Charité in Berlin: "Das spricht dafür, dass es sich bei manchen der beschriebenen Assoziationen um falsch-positive Assoziationen handeln könnte." Heißt: Die Zusammenhänge müssen in weiteren Studien noch bestätigt werden.

Impfungen könnten Risiko verringern

Sollten frühere Virusinfektionen tatsächlich das Risiko von neurologischen Krankheiten wie Demenz und Alzheimer erhöhen, könnten Impfungen wie gegen Influenza oder Gürtelrose noch wichtiger werden, schreibt das Forschungsteam in der Studie.

Doch noch sei es dafür zu früh, sagt Virologe Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen: "Jetzt wäre es wichtig zu zeigen, dass die Impfungen die Häufigkeit neurodegenerativer Erkrankungen reduzieren." Dann müssten die Ergebnisse erst mal genau geprüft werden.

Ursachenforschung vor Impfempfehlungen

Für solche Präventionsmaßnahmen muss aber erst mal klar gezeigt werden, ob und wie Virusinfektionen überhaupt Demenz oder Alzheimer auslösen. "Die Studie ist ein wichtiger Anstoß in diese Richtung weiter zu forschen", sagt Überla. Unmittelbare Konsequenzen für Impfempfehlungen ergäben sich daraus aber bisher nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. Januar 2023 um 16:43 Uhr.